"Wir bevorzugen US-Aktien"
Der derzeitige Pessimismus hinsichtlich der Entwicklung der Weltkonjunktur ist nach Ansicht des Vermögensverwalters Swisscanto Invest übertrieben. Warum er ab Herbst mit einer Rückkehr des Wirtschaftswachstums rechnet und in welche Branchen und Unternehmen er vor diesem Hintergrund investiert, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung Stefano Zoffoli. Er ist Chefstratege von Swisscanto aus Zürich. Herr Zoffoli, Banken in Deutschland denken über Negativzinsen für Sparguthaben nach, die Anleiherenditen sinken immer weiter, die Aktienmärkte stagnieren. Was kann man als Anleger eigentlich noch machen?Diese Fragen stellen wir uns natürlich auch. Und zwar schon länger, denn in der Schweiz gilt dieser außerordentliche Umstand der Negativzinsen seit einigen Jahren. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass gemischte Portfolios eine gewisse Verschiebung von Staatsanleihen in Immobilien erfahren. Die Erträge von Anleihen können aber trotz negativer Renditen positiv sein, zum Beispiel, wenn sie noch negativer werden. Insofern halten wir für unsere Kunden weiterhin Obligationen, aber wir bevorzugen aktuell Aktien und Rohstoffe und nicht nach dem Ausschlussprinzip, sondern weil sie weltweit nicht zu teuer sind und die Geldpolitik unterstützend wirkt. Viele Akteure reden derzeit von Rezession.Wir denken, die Konjunktur wird besser. Die von Umfragen zum Ausdruck gebrachte Wahrnehmung ist einfach zu negativ, und auch der Rummel um die inverse Zinskurve ist unseres Erachtens weniger berechtigt als früher. Wir rechnen für den Herbst mit einer Art Stabsübergabe. Mit Hilfe der Geldpolitik dürfte die Konjunktur dann wieder besser laufen. Frühindikatoren wie der Ifo-Index zeichnen ein anderes Bild.Der Ifo-Index wie auch der Markit PMI werden überschätzt, weil sie vor allem das verarbeitende Gewerbe abbilden, das in Deutschland aufgrund der Wirtschaftsstruktur noch sehr aufgebläht ist. Verstärkt wird dies von der Autoindustrie mit ihren eigenen Problemen. Wir haben nämlich das Gefühl, dass es gar nicht so schlecht läuft. In der Binnenwirtschaft, also beim Konsum oder auch in der Bauindustrie, sehen wir Schwung. Außerdem sind außerhalb der zyklischen Sektoren die Unternehmensergebnisse gut ausgefallen, auch in der Chipindustrie fiel der Einbruch wegen des Handelsstreits geringer aus als erwartet. Um beim großen Bild zu bleiben, wie schaut es mit der Inflation aus?Sie bleibt anscheinend sehr tief, wenngleich die Erwartungen an einen weiteren Rückgang als überzogen erscheinen. Das ist ein gutes Umfeld in einer – auch nur leicht – anziehenden Konjunktur. Wir erwarten, dass die Unternehmen ihre Margen dann auch halten können. Die Renditen von Staatsanleihen sind kürzlich auf neue Tiefststände gefallen. Was sagt das aus?Das aktuelle Renditeniveau antizipiert eine Rezession. Das ist vollkommen übertrieben, weil der Konsum stabil ist. Ihm helfen auch die tiefen Zinsen und der Vermögenseffekt aus dem Anstieg der Aktienkurse und Immobilienpreise. Die Risiken am Obligationenmarkt sind aber dadurch gestiegen, dass viele Anleger gezwungen sind, längere Laufzeiten zu halten. Wird sich daran etwas ändern, wenn Christine Lagarde im November die Nachfolge von Mario Draghi an der EZB-Spitze antreten wird?Lagarde wird die bisherige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank weiterführen beziehungsweise verstärken – namentlich im Programm von Anleihenkäufen. Aus Schweizer Sicht ist es spannend zu beobachten, wie Deutschland sich politisch weiterentwickelt. Wird eine neue Regierung die Fiskaldisziplin in der Eurozone auflockern? Der überstarke Schweizer Franken könnte dadurch eine ersehnte Abschwächung erfahren. Kommen wir zurück zu den von Ihnen eingangs nach dem Ausschlussprinzip favorisierten Aktien. Wie sind diese derzeit bewertet?Die Bewertung von Aktien ist gerade in Europa nicht hoch. US-Aktien sind nicht mehr billig, aber das heißt nicht, dass der Markt zu teuer ist, insbesondere wenn man ihn mit der Jahrtausendwende vergleicht. Außerdem gibt es keine übermäßigen Wachstumserwartungen und keine Gier im Markt, das sind gute Zeichen. In einem ausgeglichenen Profil halten wir derzeit eine Aktienquote von rund 42 %. Wie ist dieser Anteil angelegt?Wir bevorzugen US-Aktien, insbesondere aus den Branchen IT, Pharma und Finanzen. Bei den IT-Aktien sind die überragenden Wachstumsraten noch nicht in den Kursen enthalten. Bei den günstigen Pharmawerten muss ein Blick auf die Regulierungstendenz im Rahmen der US-Wahlkampagne gehalten werden. Wir glauben aber nicht, dass sie, wie diskutiert wird, aufgebrochen werden. Und in Europa?Die Eurozone hat aufgrund ihrer industrielastigen Wirtschaft ein paar Probleme – etwa mit der Autobranche. Allerdings kann man langsam wieder einen Fuß in diese Branche setzen, unser Auto-Favorit ist BMW. Überhaupt finden sich viele Value-Titel in Deutschland wie etwa Bayer oder Chemiewerte. Sobald auf diese Momentum kommt, kann man zukaufen. Unsere Favoriten in Deutschland sind derzeit SAP, Fresenius und Deutsche Telekom. Wie sieht es außerhalb Deutschlands aus?Skandinavische Aktien sehen sehr gut aus, es gibt ein paar zyklische Gewinner wie auch Branchenleader dort. Allerdings kommt in die Region Unsicherheit wegen der Banken hinein. In der Schweiz haben die drei Mega-Caps in den zwölf Monaten bis Juni rund 95 % der Performance von 18 % beigetragen. Das sollte man nicht extrapolieren. Wie sehen Sie aktuell die Schwellenländer?Wir haben ein bisschen die Zuversicht verloren. Denn trotz Zinssenkung in den USA haben sie nicht mit den Industrieländern mitgehalten. Aktien aus der Region werden wohl belastet vom Handelsstreit zwischen China und den USA. Bei Schwellenländer-Anleihen sehen wir politische Probleme bei einigen Schwergewichten wie der Türkei, Südafrika oder Mexiko. Das Interview führte Stefan Schaaf.