"Wir favorisieren Luxusgüterhersteller"
Mit italienischen Aktien haben Anleger in den zurückliegenden fünf Jahren herbe Verluste eingefahren. Seit der Immobilienkrise in den USA im Jahr 2007 bzw. seinem Zwischenhoch im Mai jenes Jahres hat der Index FTSE MIB 68,5 % eingebüßt. Zum Vergleich: Der Euroraum-Index Euro Stoxx 50 hat seit seinem im Juni 2007 erreichten Zwischenhoch 49 % verloren. Die Börsen-Zeitung befragte den Portfoliomanager Marco Scherer, der den DWS Invest Italian Equities verantwortet, zu seiner Einschätzung des Marktes.- Herr Scherer, bietet der italienische Aktienmarkt auf dem krisenbedingt stark gedrückten Niveau angesichts der niedrigen Bewertung eine interessante Einstiegsgelegenheit?Die Bewertung des italienischen Gesamtmarktes sieht im Vergleich mit dem europäischen Gesamtmarkt in der Tat niedrig aus. Aber man darf nicht vergessen, dass die extrem niedrig bewerteten Finanztitel circa 30 % des italienischen Marktes ausmachen. Die anderen Sektoren weisen aber aufgrund des Länderrisikos durchaus einen gewissen Bewertungsabschlag auf.- Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage des Landes?Ich würde es so zusammenfassen: Die Lage ist schwierig, aber keineswegs aussichtslos. Die Reform- und Sparmaßnahmen sind wichtig, um Italien auf den Weg des Schuldenabbaus und letztlich auch auf Wachstumskurs zu bringen. Das Problem ist aber, dass die Sparmaßnahmen, die notwendig sind, um Vertrauen zu schaffen, zunächst einhergehen mit einer Wachstumsabschwächung. Das Land befindet sich in einer Rezession.- Welche Stärken hat Italien?Italien hat viele hervorragend positionierte Unternehmen und einen sehr großen Mittelstand. Hierbei handelt es sich oftmals um auf den Weltmärkten sehr bekannte und erfolgreiche Unternehmen, die folglich einen großen Exportanteil aufweisen. Es gibt viele Firmen etwa aus der Automobilzuliefererbranche oder dem Luxussektor, die zur Weltspitze zählen. Vielfach handelt es sich außerdem um Unternehmen, bei denen die Gründerfamilie noch zu den größten Anteilseignern gehört. Das hat unter anderem den Vorteil, dass diese tendenziell konservativ und mit sehr langfristiger Orientierung geführt werden.- In welchen Sektoren beziehungsweise Segmenten des italienischen Aktienmarktes fühlen Sie sich besonders wohl?Wir favorisieren unter anderem Luxusgüterhersteller, aufgrund ihrer Spitzenstellung an den Weltmärkten und des häufig hohen Anteils des Geschäfts in Schwellenländern. Auch die Automobilzulieferer mit einer hohen Ausrichtung auf Premiumhersteller bieten aus unserer Sicht gute Investmentchancen. In diesen Bereichen sind die Unternehmen von der italienischen Wirtschaft weitgehend unabhängig. Hier bietet der italienische Aktienmarkt Unternehmen, die aus fundamentaler Sicht attraktiv sind und gleichzeitig einen auf das Länderrisiko zurückzuführenden Bewertungsabschlag aufweisen.- Bei welchen Bereichen des Marktes sind Sie derzeit eher zurückhaltend?Skeptischer beurteilen wir die inlandsorientierten Bereiche. Das gilt unter anderem für den Bankensektor, bei dem die Problematik der Schuldenkrise als besonderer Belastungsfaktor hinzukommt. Auch Versorger haben oft einen großen Anteil ihres Geschäftes im Heimatmarkt und sind möglicherweise von negativen regulatorischen Änderungen betroffen.- Wie unterscheidet sich Italien von Spanien?Italien ist mit Spanien nur bedingt vergleichbar. Der Staat hat zwar einen höheren Schuldenstand von etwas mehr als 120 % des Bruttoinlandsproduktes. Auch wird die Wirtschaft Schätzungen zufolge in diesem Jahr um rund 2 % schrumpfen. Der wesentliche Unterschied zu Spanien ist jedoch der Privatsektor, die italienischen Firmen und Privathaushalte sind auch im europäischen Vergleich sehr gut kapitalisiert. Dies ist aus meiner Sicht der wesentliche Unterschied, der an den Märkten oft übersehen wird.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.