„Wir halten einen Goldpreis von 3.000 Dollar für realistisch“
Im Interview: Michael Widmer
„Ein Goldpreis von 3.000 Dollar ist realistisch“
Notenbanken und Sorgen wegen hoher US-Staatsverschuldung treiben laut Bank of America das Edelmetall an – Metallexperte auch für Kupfer optimistisch
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
ku Frankfurt
Michael Widmer, Head of Metals Research bei der Bank of America, ist einer der profiliertesten Analysten auf dem Gebiet der Edel- und Industriemetalle. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert er die aktuelle Situation auf den Märkten für Gold und Kupfer. In beiden Fällen rechnet er mit weiteren Preisanstiegen.
Herr Widmer, der Goldpreis befindet sich in etwa auf Rekordniveau. Er könnte, wenn man den Meinungen vieler Analysten folgt, weiter steigen. Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die Haupttreiber für den Goldpreis?
Zu Jahresbeginn haben wir deutliche Zukäufe von chinesischen Investoren gesehen. Im Januar und im Februar verdoppelten sich die Goldimporte Chinas in etwa. Das hat für den ersten Schub des Goldpreises nach oben gesorgt. Zu diesem Zeitpunkt waren der Aktienmarkt und auch der Häusermarkt in China schwächer. Damit hatten wir eine hohe negative Korrelation des Goldpreises gegenüber Aktienmarkt und Häusermarkt in China von 0,8. Das bedeutet, dass in China große Summen im Goldmarkt geparkt wurden. Gestützt hat den Goldpreis zu dem Zeitpunkt aber auch, dass die chinesische Zentralbank noch Gold aufgekauft hat.
Dann hat sich diese Entwicklung aber wieder normalisiert, auch weil es in China viele eher kurzfristig orientierte Investoren gibt, die das geparkte Gold wieder aus ihrem Portfolio genommen haben. In den letzten Wochen hat sich die chinesische Regierung darum bemüht, auch den Aktienmarkt zu stimulieren. Im August sind dann die chinesischen Goldimporte auf den niedrigsten Stand seit mehreren Jahren gefallen, zumal auch die chinesische Zentralbank nicht weiter Gold zugekauft hat.
Was hat dann China als Treiber des Goldpreises abgelöst?
Am Goldmarkt sind allmählich die Leitzinssenkungen durch die amerikanische Notenbank Federal Reserve in den Mittelpunkt gerückt. Wir haben dann Zuflüsse zu den Gold-ETF gesehen. Allerdings hat sich auch der Markt für physisches Gold etwas besser entwickelt. Momentan zeigt sich der Goldpreis stabil auf einem Niveau von ungefähr 2.700 Dollar je Feinunze. Das liegt daran, dass wir zwar aktuell keine Verkäufe haben, aber die ersten Leitzinssenkungen bereits eingepreist sind. Es fehlen also aktuell neue Impulse für den Goldpreis. Diese Zurückhaltung wird sich meiner Meinung nach aber als eine kurzfristige Entwicklung herausstellen, wie sie am Goldmarkt des Öfteren zu beobachten ist.
Der Goldpreis bewegt sich häufig in Schüben. Grundsätzlich gibt es viele Faktoren, die dem Goldpreis weiter Auftrieb geben können.
Gold gilt allgemein als das wichtigste Wertaufbewahrungsmittel in Krisenzeiten. Die Erfahrung haben aber gezeigt, dass dies auch in der jüngeren Vergangenheit nicht für alle Krisen gilt. In welchen Arten von Krisen ist die Goldnachfrage besonders hoch, und in welchen nicht?
Was die geopolitischen Krisen betrifft, so können wir auf Erfahrungen bis zu den Golfkriegen der 1990er Jahre zurückgreifen. Jedes Mal, wenn es einen Krieg oder größeren bewaffneten Konflikt gab, hat der Goldpreis ein wenig angezogen. Dabei hat es sich aber in der Regel nur um einen kurzfristigen preistreibenden Faktor gehandelt, was wohl daran liegt, dass sich die Marktteilnehmer irgendwann mit der jeweiligen Situation abgefunden haben – so drastisch das auch klingt. Kriegerische Auseinandersetzungen können für eine lange Zeit weitergehen, ohne dass es neue Zuflüsse zum Goldmarkt gibt. Gold profitiert also nicht nachhaltig von geopolitischen Krisen.
Und wie sieht es mit den Sorgen der Anleger hinsichtlich einer zu hohen Staatsverschuldung aus?
Das ist ein wichtiger Faktor. Was die USA betrifft, so hatten wir an den Bondmärkten schon das eine oder andere Auftreten von Volatilität. Viele Ökonomen sind der Meinung, dass die Pläne der beiden Bewerber für das Amt des US-Präsidenten, also Kamala Harris und Donald Trump, fiskalisch nicht nachhaltig sind und die Staatsverschuldung weiter nach oben treiben werden. Damit könnte es zu einer Situation kommen, in der hinterfragt wird, ob die Anleihemärkte noch bereit sind, sämtliche amerikanischen Staatspapiere zu absorbieren. In der Folge könnte es zu höherer Volatilität kommen, die wiederum auch für die Zentralbanken einen Anreiz darstellen könnte, zusätzliche Mittel in Gold umzuschichten. Auch die Inflation ist zu beachten. So sind jüngst die Zinssätze für zehnjährige Anleihen gestiegen. Es ist also davon auszugehen, dass es an den Märkten auch wieder Inflationsängste gibt. Dies konnte man am Tag nach der Leitzinssenkung der Fed beobachten, als die Zinsen am kurzen Ende nach unten gegangen, am langen Ende aber gestiegen sind.
Damit sind die realen Zinsen, die ein wichtiger Treiber für den Goldpreis sind, gesunken, weil die Inflationserwartung nach oben geklettert ist.
Sind diese Inflationssorgen berechtigt?
Wenn das Fiskaldefizit in den USA in den kommenden zehn Jahren ohne Gegenmaßnahmen 6 bis 7% des Bruttoinlandsproduktes betragen könnte, dann sind Inflationssorgen durchaus berechtigt. Und selbst wenn eine US-Regierung sich dann dafür entscheiden sollte, den Gürtel enger zu schnallen, könnte das zu neuer Volatilität an den Märkten führen.
Welche Auswirkungen hätte das auf den Dollar?
In diesem Umfeld ist damit zu rechnen, dass der Dollar schwächer wird. Und auch, wenn die genannten möglichen Szenarien nicht unbedingt alle Realität werden, so schwingt doch die Angst davor im Hintergrund immer mit. Das macht Gold als strategische langfristige Anlage attraktiv. Allerdings ist kurzfristig auch zu berücksichtigen, dass es bei Turbulenzen an den Aktienmärkten zu Verkäufen von Gold kommen kann, etwa zur Abdeckung von Verlusten, so dass in solchen Situationen auch der Goldpreis kurzfristig unter Druck geraten kann. Sobald sich die Turbulenzen dann aber wieder gelegt haben, ist mit neuen Zuflüssen in Gold zu rechnen.
Was bedeutet das für Goldanleger?
Man sollte Gold eher als eine mittel- bis längerfristige Absicherung gegen Risiken betrachten.
Wo liegt gegenwärtig Ihr Ziel für den Goldpreis?
Wir haben im vergangenen Jahr gesagt, dass wir einen Goldpreis von 3.000 Dollar binnen der nächsten zwölf Jahre für realistisch halten. Aktuell sieht es nun danach aus, dass ein solches Preisziel bereits 2025 Realität werden könnte.
Die chinesische Regierung hat umfangreiche Maßnahmen zur Stimulierung der chinesischen Binnenkonjunktur angekündigt. Welchen Einfluss dürfte das auf den Goldpreis haben?
Man muss zwischen dem angekündigten monetären und dem ebenfalls in Aussicht gestellten fiskalischen Stimulus unterscheiden. Der monetäre Stimulus kommt derzeit noch nicht in der Realwirtschaft an, weil die Konsumenten in China kein Geld ausgeben wollen – die Stimmung in China ist dafür einfach zu schlecht. Hier kommt daher die fiskalische Stimulierung ins Spiel. Die Regierung hat versucht, die Aktienmärkte zu stützen, was in China relativ einfach zu bewerkstelligen ist und daher auch recht erfolgreich war. Es hat jedoch in den vergangenen Jahren bereits viel an Stimulierung durch die Regierung gegeben und es gibt auf zahlreichen Gebieten Überkapazitäten, beispielsweise bei Elektroautos, Solarzellen, in der Industrie, und am Häusermarkt. Daher hat sich nach den Feiertagen der goldenen Woche Anfang Oktober die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Regierung fiskalpolitisch wenig Neues angekündigt hat und dass es nach wie vor dieselben langfristigen Probleme gibt. Das weckt Sorgen hinsichtlich der chinesischen Konjunktur, ist aber für den Goldmarkt eher positiv, zumindest mittel- bis langfristig.
Eine aktuell sehr wichtige Nachfragegruppe auf dem Goldmarkt sind die Notenbanken, die zuletzt im Gesamtjahr mehr als 1.000 Tonnen gekauft und damit ungefähr 20 % der Nachfrage gestellt haben. Weshalb kaufen die Notenbanken so viel Gold? Spielt die viel zitierte De-Dollarisierung dabei eine wichtige Rolle?
Es gibt Umfragen unter den Zentralbanken, in denen diese Hinweise auf ihre Motive geben. Dabei wird die De-Dollarisierung als einer der Gründe genannt, der allerdings meist an nachgeordneter Stelle in der Rangliste auftritt. An führender Stelle liegen eher traditionelle Motive wie die Steigerung der Effizienz der Portfolios und die langfristige Wertaufbewahrung, um einmal die zwei wichtigsten Gründe zu nennen. Die De-Dollarisierung könnte man auch als ein Ausdruck von Unsicherheit verstehen – wegen der genannten Sorgen hinsichtlich der Entwicklung der amerikanischen Staatsanleihen. Und bei den Zentralbanken der Schwellenländer ist zu berücksichtigen, dass diese mit Blick auf die Handelsströme ihrer Volkswirtschaften einen zu hohen Dollar-Anteil in ihren Portfolios hatten. Insofern könnte man daher schon von einer De-Dollarisierung sprechen, es handelt sich aber vermutlich um ganz normales Risikomanagement.
Wenn man die Portfolien der Zentralbanken abseits derjenigen Länder betrachtet, die früher Teil des Bretton-Woods-Systems waren, so liegt deren durchschnittlicher Goldanteil bei ungefähr 4 bis 5%. Das Risiko-Ertrags-Profil dieser Zentralbanken wäre momentan aber am günstigsten, wenn der Goldanteil bei ungefähr 20% liegen würde.
Der Kupferpreis ist nach dem Allzeithoch im zweiten Quartal zuletzt etwas zurückgegangen. Was erwarten Sie für die Preisentwicklung eines der wichtigsten Industriemetalls in nächster Zeit?
Der generelle Tenor im Kupfermarkt ist, dass wir eine Unterversorgung haben, weil es nicht genügend Investitionen in neue Minen gegeben hat. Zu Jahresbeginn hatten sich jeweils viele Investoren den Markt angesehen und nach Themen gesucht, die Preisanstiege auslösen könnten. Im Jahr 2023 war dies die erwartete Öffnung der chinesischen Volkswirtschaft nach der Pandemie und im laufenden Turnus die Erwartung, dass der Boom der Künstlichen Intelligenz für eine deutlich höhere Kupfernachfrage sorgen könnte. Nach einem starken Jahresauftakt haben dann aber die Marktteilnehmer in beiden Jahren gemerkt, dass der physische Markt derart hohe Preise nicht rechtfertigt, was dann sowohl 2023 als auch 2024 zu einer Korrektur führte.
Was waren denn die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich Künstlicher Intelligenz und sind diese realistisch?
Die benötigte Stromversorgung war 2023 das zentrale Thema. Es gab die These, dass in den für KI erforderlichen Rechenzentren viel Kupfer benötigt wird und auch in der Stromversorgung dieser Rechenzentren. Allerdings ist das bislang in der Realität nicht erkennbar. So werden in den USA ungefähr 1.000 Terawattstunden an Elektrizität pro Jahr verbraucht. Gemäß den Erwartungen hätten durch den Bedeutungsgewinn von KI 60 Terawattstunden mehr verbraucht werden müssen. Dazu ist es 2023 aber nicht gekommen, stattdessen gab es einen Rückgang des Verbrauchs um rund 30 Terawattstunden. Die Akteure am Kupfermarkt haben also offenbar nicht beachtet, wie sich die sonstige Situation in der amerikanischen Volkswirtschaft entwickelt. Dementsprechend gab es dann nach dem Allzeithoch des Kupferpreises eine Korrektur. Der Kupfermarkt zeigt sich zwar grundsätzlich weiter weiterhin stark, nur ließen sich die Rekordniveaus nicht rechtfertigen. Insofern hat sich der Markt über den Sommer in diesem Jahr wieder stabilisiert. Nach dem Sommer haben wir dann gesehen, wie sich die Nachfrage in China langsam wieder erholt. Wir haben dort Käufe von Kupfer insbesondere aus dem Bereich der Kabelproduktion gesehen. Dann hat die Ankündigung des zusätzlichen Konjunkturstimulus durch die chinesische Regierung auch ihren Teil zu einem positiven Trend beigetragen. Daher sind wir weiterhin bullisch für den Kupfermarkt, aber nicht in einem übertriebenen Ausmaß. Grundsätzlich wird der weltweite Kupfermarkt weiterhin von den Erfordernissen einer größeren Stromproduktion getragen werden.
Was erwarten Sie konkret für den Kupferpreis?
Wir gehen davon aus, dass der Kupferpreis bis 2026 auf rund 12.000 Dollar je Tonne steigen wird. Wir haben also immer noch Spielraum nach oben.
Ist damit das Szenario eines Bullenmarktes bei Kupfer, getragen beispielsweise durch den Siegeszug der Elektromobilität immer noch aktuell?
Generell sind wir dieser Ansicht. Wir stimmen aber nicht mit extrem bullischen Argumentationen überein, gemäß denen der Kupferpreis bis auf 15.000 Dollar oder gar 40.000 Dollar steigen könnte. So etwas halten wir für unwahrscheinlich.
Warum?
Wenn man sich Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien ansieht, so kann man von internen Zinssätzen von 6 bis 7% ausgehen. Wenn nun die Rohstoffpreise für diese Projekte um 10% nach oben gehen, verringert sich der interne Zinssatz in der Regel um ein Prozent. Zu Beginn des Ukrainekriegs sind die Rohstoffpreise um durchschnittlich 40% angestiegen. Damit sind also die internen Zinssätze von Projekten aus dem Bereich der erneuerbaren Energien um rund 4 Prozentpunkte gesunken. Dann rechnen sich Projekte schlichtweg nicht mehr. Deswegen haben wir in der Folge auch gesehen, dass die Investitionen in diese Projekte stark zurückgegangen sind. Bei den Produzenten gibt es zudem eine gewisse Preissensibilität, man kann bei Kabeln beispielsweise auf Aluminium ausweichen, falls Kupfer zu teuer geworden ist. Insgesamt glauben wir, dass „Net Zero“ bei CO2 bis 2050 beim gegenwärtigen Rohstoffangebot nicht zu realisieren ist. So gab es beispielsweise in den USA aus Umweltschutzgründen erheblichen Widerstand gegen jedes einzelne Projekt neuer Kupferminen. So bekommen wir die Energiewende allerdings nicht bewerkstelligt.
Das Interview führte Dieter Kuckelkorn. Die vollständige Version des Interviews können Sie online auf www.boersen-zeitung.de lesen.
Zur Person: Michael Widmer ist Leiter des Research der Metallmärkte bei der Bank of America mit Sitz in London. In dieser Funktion wurden er und sein Team von der renommierten Fachzeitschrift Institutional Investor in den Jahren 2014, 2016, 2018, 2019, 2020, 2021 und 2023 auf Platz 1 der Rangliste in diesem Bereich aufgeführt. Vor seinem Wechsel zur Bank of America war er Head of Metals Research bei Lehman Brothers. Er hat in Köln, Mailand und Bergen Finance/Economics und internationales Management studiert.