„Wir sind noch defensiv positioniert“
Herr Junius, Herr von Rotberg, wie stellt sich derzeit das Umfeld der Märkte, insbesondere die konjunkturelle Seite, dar?
Junius: Nun, wir gehen derzeit nicht mehr davon aus, dass es in der Eurozone zu einer Rezession kommt. Das liegt unter anderem daran, dass wir aufgrund der wieder deutlich niedrigeren Energiepreise und der aktiven Fiskalpolitik ein stärkeres viertes Quartal als erwartet erlebt haben. Da viele vor einer schweren Rezession gewarnt hatten, hat die Wirtschaftspolitik in der Eurozone reagiert und die privaten Einkommen beispielsweise durch die Gaspreisbremse stabilisiert und somit rezessiven Tendenzen entgegengewirkt. Dank der hohen Lagerbestände bei Gas ist auch die Gefahr zukünftiger Gasrationierungen nicht mehr sehr hoch, was zu einer Erholung des Vertrauens von Haushalten und Unternehmen führt. Stimuliert wird die konjunkturelle Entwicklung durch die Erholung in China und auch durch ein kräftigeres Wachstum in den USA im ersten Halbjahr.
Kommt es denn in den USA zur Rezession?
Junius: Wir gehen davon aus, dass sich die Rezession in den USA, die wir für die Jahresmitte prognostiziert hatten, nun später in die zweite Jahreshälfte verschiebt. Die Zinserhöhungen durch die Federal Reserve wirken offensichtlich nicht ganz so schnell wie erwartet. Das zeigt auch der jüngste amerikanische Arbeitsmarktbericht. Dort hat das nominale Lohnwachstum einen starken Schub erhalten, was man nicht ignorieren sollte, auch wenn der Arbeitsmarktbericht generell ein nachlaufender Indikator ist. In den USA sind die Arbeitseinkommen annualisiert um 8% gestiegen. Dies stützt die Nachfrage und erhöht den Inflationsdruck in den nächsten Monaten.
Weshalb ist eine Rezession Ihrer Überzeugung nach unvermeidbar?
Junius: Wir haben in den USA bereits 400 Basispunkte an Leitzinserhöhungen gesehen. Dies macht sich zunächst in der Bauwirtschaft bemerkbar und es wirkt sich letztendlich auch auf die verarbeitende Industrie aus, weil dort die Investitionen zurückgehen. Daher werden insbesondere diese wichtigen Bereiche rezessive Tendenzen zeigen.
Was erwarten Sie für die Entwicklung der Inflation und die Geldpolitik der Notenbanken? Wird die Inflation abnehmen, was die Perspektiven der Geldpolitik ändern könnte?
Junius: Wir können uns nicht vorstellen, dass es bei einer der großen Notenbanken in diesem Jahr bereits Zinssenkungen geben könnte. Mit Blick auf die Inflation ist der Lohndruck entscheidend, weil sich die Arbeitslosenquoten noch in der Nähe ihrer Rekordtiefs befinden und daher der Lohndruck noch nicht abnimmt. Ganz im Gegenteil: In Deutschland gehen wir angesichts der jüngsten Forderungen in den Tarifverhandlungen davon aus, dass der Lohndruck noch zunimmt. Insofern werden die Zentralbanken sehr vorsichtig sein, was Änderungen ihrer Geldpolitik betrifft.
Ist mit einem erneuten starken Anstieg der Energiepreise zu rechnen?
Junius: Nein, davon gehen wir nicht aus, zumal nun Basiseffekte der extrem hohen Energiepreise der ersten Jahreshälfte 2022 wirksam werden. Außerdem haben sich die Lieferengpässe weitgehend aufgelöst. Erstaunlicherweise hat auch die Wiederöffnung der chinesischen Wirtschaft zu deutlich weniger Disruptionen auf den Energiemärkten geführt, als zu vermuten gewesen wäre. Wir können also beobachten, dass der Kostendruck bei Energie und auch bei den Frachtraten zurückgeht.
Es ist erstaunlich, dass die Zinsen von Staatsanleihen aus der EU-Peripherie in der aktuellen Krise kaum reagiert haben. Worauf ist das zurückzuführen?
Junius: Wir hatten uns alle Sorgen gemacht, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen gar nicht so weit wie erforderlich erhöhen kann, weil dann die Staaten der EU-Peripherie in eine schwierige Lage kommen könnten. Neben den Leitzinserhöhungen stand ja ein „Quantitative Tightening“ an, was zusätzlich Druck auf die Zinsen und die Zinsdifferenzen hätte ausüben können. Allerdings ist nichts davon geschehen. Seit der ersten Leitzinserhöhung durch die EZB sind die Zinsaufschläge von Peripherieanleihen um 70 Basispunkte gefallen. Und ausgerechnet der spanische und der griechische Aktienmarkt haben in den vergangenen Monaten eine ausgesprochen gute Performance gezeigt.
Was sind die Gründe dafür?
Junius: In der EU-Peripherie sind die politischen Rahmenbedingungen relativ gut. Die neue italienische Regierung schlägt gegenüber Brüssel wesentlich kooperativere Töne an, als es der Wahlkampf hat vermuten lassen. In Griechenland haben wir seit dreieinhalb Jahren eine stabile Regierung. Letztendlich ist es aber das ökonomische Umfeld, das den Ausschlag gibt. In den vergangenen acht Quartalen ist das reale Wachstum in der Peripherie deutlich höher gewesen als in der Eurozone insgesamt. Das nominale BIP ist zudem aufgrund der hohen Inflationsraten noch deutlicher angestiegen, während die Schuldenniveaus einigermaßen konstant geblieben sind. Dadurch sind die Schuldenquoten bezogen auf das BIP deutlich gefallen. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die private Verschuldung in den Ländern der EU-Peripherie wesentlich niedriger ist als in Deutschland oder im EU-Durchschnitt. So ist der Bankensektor geringer verschuldet und der Unternehmenssektor nicht sehr hoch. Mit Ausnahme von Spanien sind in der EU-Peripherie auch die Schulden der privaten Haushalte niedriger als beispielsweise in Deutschland oder den Niederlanden. Dies sorgt letztlich dafür, dass die Länder der EU-Peripherie unempfindlicher sind gegenüber Zinserhöhungen als gedacht.
Wie sollten sich Investoren in dem von Ihnen beschriebenen Marktumfeld positionieren? Welche Assetklassen und welche Regionen sind Ihrer Meinung nach derzeit attraktiv?
Junius: Insgesamt sind wir noch defensiv positioniert. Wir sind weiterhin in Aktien leicht untergewichtet. Wir glauben andererseits, dass derzeit Anleihen attraktiv sind. Wir plädieren für qualitativ hochwertige Bonds wie sichere Staatsanleihen und Unternehmen mit ansprechenden Ratings. Uns gefallen inzwischen aber auch Emerging-Markets-Anleihen in lokaler Währung, weil in den Regionen die Zinsniveaus leicht zurückgehen könnten, was den Anleihen Rückenwind geben würde. Ansonsten raten wir zu einer Übergewichtung von Gold.
Weshalb halten Sie Gold für attraktiv?
Junius: Wir gehen davon aus, dass der Goldpreis bis zum Jahresende auf 2000 Dollar steigen wird. Zum einen sind wir nicht besonders optimistisch für den Dollar, zum anderen haben die Realzinsen als der wichtigste Treiber des Goldpreises den größten Teil des Anstiegs bereits hinter sich. Tendenziell sollten die Realzinsen etwas fallen, wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt. Dies ist ein sehr positives Szenario für Gold.
Wie beurteilen Sie aktuell die Perspektiven für Aktien?
Von Rotberg: Der Jahresanfang war durch eine extrem starke Rally an den Aktienmärkten gekennzeichnet. In den USA sind die Zinsentwicklung und die Abschwächung der Inflation als Hauptfaktoren dafür zu sehen. Als Ergebnis haben Sektoren, die im vergangenen Jahr stark gefallen waren, nun kräftig zugelegt. Davon haben Wachstumswerte profitiert, aber auch Aktien von fragwürdiger Qualität, die tendenziell hoch volatil und hoch spekulativ sind. Wir haben beispielsweise die Rückkehr von „Meme Stocks“ gesehen, was beweist, dass der Risikoappetit in relativ kurzer Zeit stark angestiegen ist.
Ist das Ihrer Meinung nach nachhaltig?
Von Rotberg: Wir glauben nicht, dass diese Situation besonders nachhaltig ist. Die Inflation könnte sich als hartnäckiger erweisen, als der Markt derzeit glaubt. Zwar kommt Güterinflation deutlich herunter, wir sehen aber aufgrund des Lohndrucks eine weiterhin hohe Dienstleistungsinflation. Daher hat die Fed jetzt noch keine Veranlassung, die Zinsen schon wieder zu senken, zumal der Arbeitsmarkt weiterhin von einem Arbeitskräftemangel gekennzeichnet ist. Wenn nun aber die Preise von Gütern fallen und im Dienstleistungssektor die Inflation hoch bleibt, hat dies einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Das sehen wir jetzt schon für das vierte Quartal. Die steigenden Löhne sorgen dafür, dass die Gewinnmargen unter Druck bleiben.
Wie haben sich die Bewertungen entwickelt?
Von Rotberg: Die Bewertungen sind hochgelaufen. In den USA ist inzwischen wieder ein Niveau erreicht worden, das es zuletzt im April 2022 gegeben hat, als wir eine große Bärenmarktrally hatten. Da wir keine nennenswerte Erholung auf der Gewinnseite erwarten, sind die Bewertungen unserer Meinung nach hoch. Insofern sind wir skeptisch, dass sich die Rally noch lange trägt.
Wie sieht es in Europa aus?
Von Rotberg: Wir haben an den europäischen Aktienmärkten in Übereinstimmung mit der konjunkturellen Lage eine Verbesserung gesehen, ausgehend von einer Phase im vergangenen Jahr, in der die Sorgen extrem waren. Das hatte auch die EZB zunächst veranlasst abzuwarten, in der Hoffnung, dass die erwartete Rezession das Inflationsproblem beseitigt. Diese Zurückhaltung der EZB hatte auch den Euro gedrückt und so die Gewinnsituation für europäische Unternehmen verbessert. Der schwache Euro und die Erholung in China haben die europäischen Aktienmärkte also gestützt, zusätzlich zur Entspannung bei den Energiepreisen. Was die kommenden Wochen und Monate betrifft, so hat sich der Rückenwind durch den Euro in einen Gegenwind verwandelt. Dadurch erwarten wir, dass sich die Gewinne europäischer Unternehmen etwas schwächer entwickeln werden als diejenigen in anderen Regionen.
Welche Folgerungen ziehen Sie aus der aktuellen Erholung in China?
Von Rotberg: Wir sind weiterhin sehr zuversichtlich, was die Auswirkungen der konjunkturellen Erholung in China betrifft. Davon profitieren einige europäische Sektoren wie Luxusgüter, gehobener Konsum oder auch die Rohstoffkonzerne, hier besonders die Industriemetalle. Dies kann sich auch noch einige Zeit fortsetzen. Aufgrund der Lage in China haben natürlich chinesische Aktien und generell Aktien aus den Emerging Markets Potenzial.
Welche europäischen Sektoren sind sonst noch interessant?
Von Rotberg: Bei europäischen Aktien ist es derzeit ratsam, sehr selektiv vorzugehen. Positiv sehen wir beispielsweise die Banken, deren strukturelle Situation sich deutlich verbessert hat. So hat sich das Net Interest Income, das stark an den Zinsen hängt, deutlich verbessert. Die Einkünfte sollten über die nächsten Jahre strukturell höher sein als in der Vergangenheit, was auch insofern von Bedeutung ist, als der Unternehmenssektor in Europa stärker von Bankkrediten abhängig ist als in anderen Regionen der Welt.
Wie sehen Sie die Aussichten hinsichtlich US-Aktien?
Von Rotberg: Im laufenden Jahr wird sich der Wachstumsschwerpunkt der Welt weg von den USA in Richtung Asien entwickeln. Darunter sollte der Dollar leiden, unter anderem, weil sich die Zinsaufschläge der Anleihen am kurzen Ende verengen. Den Assets aus den Emerging Markets kommt das zugute, weil sich auch der Druck auf die Notenbanken in diesen Ländern verringert.
Das Interview führte