Zukunftsmarkt Medizintechnik muss sich beweisen

Privatbank Berenberg favorisiert FMC und Sartorius - Fresenius und Gerresheimer hochgestuft - Coloplast wird als Verkaufskandidat angesehen

Zukunftsmarkt Medizintechnik muss sich beweisen

Medizintechnik gilt als riesiger Wachstumsmarkt und als defensive Branche. Grund genug, sich die Unternehmen genauer anzuschauen. Die Berenberg Bank hat in einer Studie viele attraktive Aktien ausgemacht, aber auch solche, von denen Anleger lieber die Finger lassen sollten.Von Anna-Maria Borse, FrankfurtTrotz des jüngsten Kursrücksetzers und insgesamt guter Perspektiven für die Branche: Längst nicht bei allen europäischen Medizintechnikunternehmen lohnt nach Ansicht der Berenberg Bank der Einstieg. 2015 sei das Jahr der Vorschusslorbeeren für die Unternehmen gewesen, 2016 müsse aber geliefert werden, heißt es in einer Studie der Bank.Dass die Kurse 2015 so stark gestiegen sind, sei nämlich nicht Folge höherer Gewinnerwartungen. Unter den großen Unternehmen werden insbesondere Fresenius Medical Care (FMC) und Smith & Nephews empfohlen, unter den mittelgroßen William Demant, Livanova und Sartorius. Abgeraten wird von Sonova und Coloplast. Verändert werden die Einschätzungen unter anderem für den FMC-Mutterkonzern Fresenius und Gerresheimer, beide Aktien werden auf “Buy” hochgestuft.Aktien von Medizintechnikunternehmen haben sich 2015 besser entwickelt als der Gesamtmarkt. Dabei seien die Gewinnschätzungen gerade für die meisten großen Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr sogar gesunken. Entscheidend für Kursanstieg seien vielmehr höhere Multiples. Das hänge mit der insgesamt höheren Aktienbewertung 2015 zusammen, zum anderen aber auch damit, dass der Branche als eine der wenigen überhaupt noch viel Wachstumspotenzial zugetraut wird.Allerdings räumen die Analysten ein, dass der Sektor sehr heterogen ist. Die Bank favorisiert Adressen, für die ein hohes Wachstum erwartet wird, und das voraussichtlich auch geliefert werde. Als Beispiele nennt sie unter anderem FMC und Sartorius. Gut an kommen bei den Analysten auch Unternehmen mit einer soliden Umsatzentwicklung und einem Wettbewerbsvorsprung. Auch hier wird etwa auf FMC verwiesen, aber auch auf Carl Zeiss Meditec und Sartorius. Zur dritten Gruppe, die empfohlen wird, gehören Unternehmen, die vor einer Neubewertung stehen, also Adressen, bei denen Investoren noch zurückhaltend sind, bei denen die Analysten aber zuversichtlich sind, dass es in die richtige Richtung geht. Hier werden Livanova und Qiagen angeführt.Schlechtere Perspektiven hätten hingegen solche Unternehmen, welche die Erwartungen voraussichtlich nicht erfüllen würden, allen voran Coloplast und Sonova. Über geopolitische Risiken machen sich die Analysten keine großen Sorgen, die betroffenen Länder spielten für die meisten der Unternehmen keine große Rolle. Diskutiert wird aber das “Hillary-Risiko”, also dass unter einer US-Präsidentin Hillary Clinton eine Deckelung für Medikamentenpreise eingeführt werden könnte. Dies könne für Unsicherheit bei einigen Firmen mit viel US-Geschäft sorgen. Berenberg geht aber nicht davon aus, dass es unter neuer Präsidentschaft zu großen Veränderungen kommen wird. Rechtsstreit ausgeräumtFür FMC wird das Kursziel unverändert bei 92 Euro (aktuell 76,73) angesetzt, was ein Kurspotenzial von 20 % ergibt. Für den Bad Homburger Dialysespezialisten spreche das solide organische Wachstum. Erhöhe sich der Nettogewinn 2016 tatsächlich wie geplant um 15 bis 20 %, werde die Aktie deutlich steigen. Positiv gesehen wird auch der Ausbau des Versorgungsmanagements (Care Coordination).Die Empfehlung wurde am Donnerstag bestätigt, nachdem FMC erste Zahlen für 2015 veröffentlicht und über die grundsätzliche außergerichtliche Einigung in einem Produkthaftungsverfahren berichtet hatte. Der Bank zufolge ist dies ein gutes Ergebnis für den Dialysespezialisten, ein potenzielles Risiko für die Aktien sei damit beseitigt. Die an die Kläger zu zahlende Summe von 250 Mill. Dollar liege deutlich unter den erwarteten 450 Mill. Dollar. FMC war vorgeworfen worden, auf den Etiketten zweier Konzentrate für Dialyselösungen unzureichend auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen zu haben.Für den Londoner Medizintechnikkonzern Smith & Nephew bleibt das Kursziel bei 13 Pfund (aktuell 11,52). Die Umsätze stünden vor einem Sprung nach oben, das Unternehmen punkte mit neuen Produkten und profitiere von gesunden Abnehmermärkten und einem guten Vertrieb. Favorisiert unter den mittelgroßen Unternehmen wird neben dem dänischen Hörgerätespezialisten William Demant und dem britischen Medizintechnikunternehmen Livanova auch der Göttinger Laborausrüster Sartorius.Für Sartorius (Kurzsiel 260 statt 250 Euro, aktuell 264) rechnen die Analysten dank steigender Marktanteile und wachsender Nachfrage mit einem weiteren Jahr mit zweistelligen Umsatzzuwächsen.William Demant (Kursziel 735 statt 740 dänische Kronen, aktuell 570,50) komme das Produktangebot zugute, für dieses Jahr sei zudem mit Rückenwind von der Währungsseite zu rechnen. Die Bewertung mit einem KGV von 17,8 für 2016 sei definitiv zu niedrig. Bei Livanova (unverändert 80 Dollar, aktuell 58,50) sei das ähnlich, die Experten erwarten eine sehr gute Gewinnentwicklung, auch dank attraktiver Produkte. Livanova ist auf Medizingeräte etwa zur Erkennung von Herzrhythmusstörungen spezialisiert.Abgeraten wird von Sonova und Coloplast. Der Schweizer Hörgerätespezialist Sonova wird zwar noch auf “Hold” gesetzt, das Kursziel aber von 136 auf 130 sfr (aktuell 118,80) reduziert. Der kurzfristige Ausblick sei zu optimistisch, heißt es, 2016 werde ein schwieriges Geschäftsjahr werden. Wichtige neue Produkte fehlten, im Bereich Cochlea-Implantate sei der Wettbewerb hoch. Der dänische Medizinprodukteanbieter Coloplast wird sogar auf “Sell” gestuft bei einem Kursziel von unverändert 440 dänischen Kronen (aktuell 515). Die Analysten halten zwar viel von dem Unternehmen, die Bewertung sei angesichts der Risiken aber zu hoch.Die meisten anderen untersuchten deutschen Unternehmen kommen in der Studie ebenfalls gut weg: Zum Kauf geraten wird bei der Medizintechnikfirma Carl Zeiss Meditec (Kursziel unverändert 31 Euro, aktuell 28,88), beim Gesundheitskonzern Fresenius (unverändert 92 Euro, aktuell 56,75) – der Mutter von FMC -, dem Verpackungsspezialisten Gerresheimer (unverändert 70 Euro, aktuell 63,82) sowie dem Gendiagnostik- und Biotech-Konzern Qiagen (23 statt 25 Euro, aktuell 21,39). Fresenius und Gerresheimer werden von “Hold” hochgestuft. Dräger mit MargenproblemFür Drägerwerk und Rhön-Klinikum lautet das Votum zwar nur “Hold”, da die Aktien nicht viel Potenzial hätten. Es gebe aber auch wenig Risiko nach unten. So profitiere die Klinikkette Rhön-Klinikum (Kursziel unverändert 27,70 Euro, aktuell 26,46) von dem nach Ansicht der Analysten sehr guten Krankenhausumfeld in Deutschland. Risiken durch Engagements in Schwellenländern gebe es nicht, ebenso wenig Wechselkursrisiken. Nicht zuletzt sei die Dividendenrendite sehr hoch.Für den Medizintechnikkonzern Drägerwerk (Kursziel 65 statt 75 Euro, aktuell 49,23) sprächen eine starke Bilanz und die Marktführerschaft in einigen Bereichen. Das Unternehmen liefere schon lange ein stabiles Wachstum, die Ebitda-Margen ließen aber zu wünschen übrig. Grundsätzlich sei eine Neubewertung der Aktie möglich.Berenberg steht mit ihrer Meinung zu FMC nicht allein. Die meisten Analystenempfehlungen aus den vergangenen Wochen fallen positiv aus. So raten auch Independent Research, Bernstein, Kepler Cheuvreux, Oddo Seydler und das Bankhaus Lampe zum Einstieg. Zurückhaltender sind Warburg Research und die Commerzbank, welche die Aktie auf “Hold” setzen. Lampe zufolge hat die außergerichtliche Einigung nur einen begrenzten direkten Einfluss auf die Finanzkennziffern (Kursziel 80 Euro), für einen Großteil der an die Kläger zu zahlenden Summe würden Versicherer aufkommen, hohe Einmalbelastungen seien somit kein Thema. Laut Kepler Cheuvreux ist die FMC-Aktie (Kursziel 87 Euro) immer noch moderat bewertet. Die vereinbarte Vergleichszahlung sei eine positive Nachricht.