Peter Rüth

Amprion-CFO rechnet nicht mit einem Blackout

Als Übertragungsnetzbetreiber baut Amprion die Infrastruktur für die Energiewende und plant Milliardeninvestitionen. Für die Finanzierung will CFO Peter Rüth künftig regelmäßig den Kapitalmarkt anzapfen.

Amprion-CFO rechnet nicht mit einem Blackout

Antje Kullrich

Herr Rüth, müssen wir mit Blackouts im Winter rechnen?

Wir rechnen nicht mit einem Blackout. Ein Blackout wäre ein unkontrollierbarer Zusammenbruch von größeren Teilen des Netzes. Und das sehen wir nicht. Es gibt die Möglichkeit eines sogenannten Brownout.

Was ist das?

Das wäre eine kontrollierte Lastabschaltung. Es gibt zwei Szenarien: Es gibt insgesamt zu wenig Strom, weil wir zu wenig Erzeugungskapazitäten haben und der Bedarf hoch ist. Oder es gibt das Szenario eines Netzengpasses. Das heißt, es sind nicht genügend Leitungen da, um die Menge an benötigtem Strom zu transportieren. Der sogenannte Stresstest, den die Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag der Bundesregierung erstellt haben, legt nahe, dass Netzengpässe das wahrscheinlichere Szenario sind. In beiden Fällen würde man, in Abstimmung mit den Verteilnetzbetreibern, kontrolliert für kurze Zeit Regionen abschalten, um das Stromnetz insgesamt stabil zu halten. Aber das ist die Ultima Ratio, wenn der große Werkzeugkasten der Systemführung ausgeschöpft ist. Das ist seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr vorgekommen.

Wie angespannt ist denn die Lage?

Die Lage in diesem Winter ist schon nicht ganz einfach. Doch wenn die Lage angespannt ist, heißt das nicht, dass Sie als Strom-Kunde etwas davon merken. Wir schauen in unseren Werkzeugkasten und prüfen, was wir ausbauen können. Da geht es zum Beispiel um die Optimierung von Echtzeitanalysen, wir haben unsere Vorschauprognosen für Wetter, Kraftwerkskapazitäten und Verfügbarkeit von Netzen deutlich verbessert. Wir haben für diesen Winter Kraftwerksreserven aktiviert und stehen im Austausch mit unseren europäischen Nachbarn, um uns gegenseitig zu helfen. Das europäische Verbundnetz – dazu gehören etwa 30 Länder und Übertragungsnetzbetreiber – ist das größte und komplexeste Strom- und Energiesystem der Welt. Je größer ein Netz ist, desto stabiler ist es aber auch.

Was können Sie noch tun?

Eine Empfehlung aus dem Stresstest war, temporär das Netz stärker auszulasten, also mehr Strom über die vorhandenen Leitungen zu transportieren, um Netzengpässe im Winter zu vermeiden. Technisch ist das im Winter gut machbar, da aufgrund der kalten Temperaturen die Leiterseile nicht so stark durchhängen und damit der notwendige Abstand der Leitungen zum Boden eingehalten wird. Mittelfristig können wir darüber hinaus mehrere hundert Kilometer Hochtemperaturseile auf vorhandene Masten legen, die dann deutlich mehr Kapazität bieten, um Strom zu übertragen. Das ist derzeit in der Planung und im Bau. Der Ausbau des Netzes bleibt ein zentraler Baustein, um das Stromsystem auch in Zukunft sicher betreiben zu können.

Wie schnell geht das denn?

Mit der höheren Auslastung des Netzes beginnen wir am 1. Januar 2023. Die zusätzlichen Seile sind eher eine längerfristige Maßnahme. Eine weitere Empfehlung aus dem Stresstest war, Kraftwerke wieder aus der Reserve zu holen. Wichtig war auch, die drei Kernkraftwerke bis April im Streckbetrieb laufen zu lassen. Wir begrüßen das sehr, denn jede Kilowattstunde zählt.

Können Sie ein Szenario beschreiben, in dem es zu kontrollierten Abschaltungen kommen würde?

Kontrollierte Lastabschaltungen sind ein Mittel, mit dem wir das Netz stabil halten können, damit es nicht zu größeren Schäden kommt. Ein Szenario für eine kritische Netzsituation könnte zum Beispiel ein Tag mit sehr viel Wind und viel Stromverbrauch bei sehr kalten Temperaturen sein. Ob eine kontrollierte Lastabschaltung im Winter notwendig wird, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, nicht zuletzt dem Wetter. Deswegen können wir hier keine Vorhersagen machen. Freiwillige Lastschaltungen bei der Industrie wären jedoch vorgeschaltet. Wir sammeln gerade einiges an Kapazität bei Großverbrauchern in der Industrie ein. Mit einer geplanten Lastabschaltung können die Unternehmen in der Regel viel besser umgehen, als wenn sie mitten in der Produktion davon überrascht werden. Diese Vorbereitungen finden in einem breiten Konsens mit der Bundesnetzagentur, dem Bundeswirtschaftsministerium und der Industrie statt. Solche Maßnahmen wären auch regional und zeitlich sehr eng begrenzt.

Mit den Lecks von Nord Stream 1 und 2 ist auch die Sicherheit der kritischen Infrastruktur in den Blickpunkt gerückt. Rüsten Sie hier noch einmal auf?

Wir haben extrem hohe Sicherheitsstandards im Übertragungsnetz. Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen und Regelungen, die die Sicherheit betreffen – zum einen die physische Sicherheit von Anlagen, zum anderen die IT-Sicherheit. Es gibt auch ein Learning aus Vorfällen bei anderen Unternehmen und Organisationen. Wir haben außerdem ein redundant aufgebautes Stromnetz. Das heißt, wenn eine Leitung ausfällt, muss eine andere da sein. Das muss immer gewährleistet sein. So schnell ist daher ein großflächiges Lahmlegen des Netzes nicht möglich.

Im Mai hat Amprion die Netzausbauziele noch einmal hochgeschraubt. Bleibt es dabei?

Wir wollen weiterhin mindestens 12,1 Mrd. Euro bis 2026 investieren. Das Ziel für Deutschland ist die Klimaneutralität 2045. In der Vergangenheit hat man stark auf die Erzeugungskapazität geschaut. So wurde das Ziel definiert, 80 % regenerative Erzeugung 2030 zu erreichen. Irgendwann wurde verstanden, dass man parallel dazu den Netzausbau erheblich beschleunigen muss. Sonst besteht die Gefahr eines Ausbaus in zwei Geschwindigkeiten.

Wird da aus Ihrer Sicht genügend gegengesteuert?

Die Bundesregierung fasst da jetzt eine ganze Reihe Themen an. Vor allem geht es um die Dauer von Genehmigungsverfahren und die Bündelung von Projekten in Energiekorridoren. Denn wir wollen ja auch ein effizientes und damit bezahlbares Netz. Wir spüren auch eine deutliche Beschleunigung, aber wenn man auf die ambitionierten Ziele 2030 guckt, ist das immer noch nicht schnell genug. Es muss noch einmal schneller gehen. Wir brauchen eine Vereinfachung beim Natur- und Artenschutzrecht. Maßnahmen für den Klimaschutz sollten nicht durch Regelungen im Naturschutz ausgebremst werden. Ein weiterer Aspekt ist auch die Nutzung von Bestandstrassen. Wenn wir zusätzliche Leiterseile auf bestehende Leitungen legen, darf das nicht wie ein ganz neues Genehmigungsverfahren behandelt werden. Oder die Inanspruchnahme von Grundstücken: Wenn man wie bei unserem Projekt „Korridor B“ 30 000 Grundstücke tangiert, dann können wir nicht mit jedem einzeln verhandeln – das dauert dann viele Jahre. Dazu haben wir jeweils Vorschläge gemacht, das zu beschleunigen.

Wie gesichert sind Ihre Investitionsplanungen?

Ob sich die Zahlen in der Zukunft noch einmal verändern, muss die Politik entscheiden. Der Netzentwicklungsplan Richtung Klimaneu-tralität steht im Wesentlichen, aber es könnte noch Verschiebungen geben bei der Frage, was machen wir schneller, was machen wir langsamer. Wenn es im Netzentwicklungsplan steht, heißt das, dass wir die Maßnahmen machen müssen. Das bietet unseren Investoren dann auch Sicherheit, denn die Renditen sind dann regulatorisch gesichert. Im nächsten Jahr werden zwei Entwürfe für die Netzplanung herauskommen, die dann wiederum von der Bundesnetzagentur Anfang 2024 bestätigt werden müssen. Bis Ende 2023 werden wir wohl Klarheit haben.

Wie wollen Sie die in den kommenden Jahren anstehenden 12 Mrd. Euro finanzieren?

Wir brauchen einen effizienten Mix aus Eigen- und Fremdkapital. Grundlegend ist die Bereitschaft von unseren Eigentümern, Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir haben in den vergangenen Jahren zweimal frischen Eigenkapital von unseren Eigentümern bekommen: je 400 Mill. Euro in den Jahren 2015 und 2020. Wir haben eine Eigentümerstruktur, die sich seit unserer Gründung 2011 nicht verändert hat.

Wie hoch ist der zusätzliche Eigenkapitalbedarf in den kommenden Jahren?

Der nächste zusätzliche Eigenkapitalbedarf steht voraussichtlich 2024 und 2025 an. Für 2024 führen wir konkrete Gespräche. Wir haben unseren Eigentümern gerade eine Langfristplanung vorgestellt. Diese ist einstimmig angenommen worden. Die Eigner wissen also, was auf sie zukommt. Wir haben einen sehr guten Mix aus einem energiewirtschaftlichen Partner mit RWE, der 25,1 % hält, und mit 74,9 % bei institutionellen Anlegern – Pensionskassen, Pensionsfonds und Versicherer. Unsere Gesellschafter sind ebenfalls sehr langfristig ausgerichtet und passen damit bestens zu unserem langfristigen Geschäftsmodell. Es gibt außerdem hohes Interesse von Investoren an Eigenkapitalinvestitionen in Übertragungsnetzbetreibern. Für uns ist es wichtig, dass wir zu jeder Zeit in der Lage sind, die Investitionen zu stemmen, die geplant sind.

Wie sieht es auf der Fremdkapitalseite aus?

Wir haben heute ein solides Investment-Grade-Rating von „Baa1“ bei Moody’s, und das wollen wir auch behalten. Moody’s hat in diesem Jahr außerdem unseren Outlook von negativ auf stabil gesetzt. Grundsätzlich machen wir eine Bridge-to-Bond-Finanzierung. Wir finanzieren uns unterjährig mit kurzfristigen Finanzierungsinstrumenten und erst, wenn wir ein Benchmark-Volumen von etwa 500 Mill. Euro erreicht haben, schwenken wir auf mittel- bis langfristige Instrumente um. Wir haben für die kurzfristigen Finanzierungen einen Konsortialkreditvertrag mit unseren acht Kernbanken über 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung.

Welche Institute sind dabei?

Dazu gehören BayernLB, LBBW, Commerzbank, Unicredit, SEB, DZ Bank, ING und Helaba. Wir sind europäisch unterwegs und damit auch sehr zufrieden. Den Konsortialkredit können wir theoretisch auch noch ausweiten. Wir haben zudem ein Commercial-Paper-Programm über 900 Mill. Euro und zusätzliche unbestätigte Kreditlinien. Für den Switch in die Langfristigkeit haben wir uns einen Rahmen mit einem Debt-Issuance-Programm vom Aufsichtsrat freigeben lassen, mit einem Volumen von 6 Mrd. Euro. Unsere Debütanleihe haben wir im September 2021 emittiert und in diesem Jahr, ebenfalls im September, mit einem Green Bond nachgelegt.

Wird das eine Frequenz sein, die sich einspielen wird? Kommt Amprion jetzt jedes Jahr mit einem Bond?

Ich würde sagen ja. Wir kommen nächstes Jahr auf jeden Fall wieder an den Markt. Wir wollen eine regelmäßige Emittentin werden. Ziel ist es, insgesamt mit unserer Finanzierungsstrategie sehr flexibel zu sein. Wir haben zum Beispiel auch Schuldscheine. Wenn ein Finanzierungsinstrument mal ausfällt – zu Beginn des Ukraine-Kriegs war zum Beispiel der Commercial-Paper-Markt zeitweise dicht – dann ist es bei unseren Finanzierungsvolumina gut, Alternativen zu haben.

Wird der nächste Bond wieder ein grüner sein?

Das ist wahrscheinlich. Die Frage ist immer: Wie können wir möglichst attraktiv sein für unsere Investoren? Ein wichtiger Schritt war die Einführung einer IFRS-Bilanzierung. Dann kam das ESG-Rating auf die Agenda. Wir machen ja den ganzen Tag nichts anderes, als an der Energiewende zu arbeiten, und deshalb bietet es sich mit einem eigentlich komplett grünen Geschäftsmodell auch an, mit einem grünen Rating einen Green Bond zu emittieren. Wir haben allerdings kein Green Bond Framework definiert, sondern ein Green Finance Framework. Wir wollen auch unsere anderen Finanzierungsinstrumente – Konsortialkredit, Commercial Paper, Schuldscheine – grün machen. Wir wollen eine komplett grüne Finanzierung haben.

Wie gut sind die Ergebnisse von Amprion planbar?

Das Ergebnis eines Übertragungsnetzbetreibers ist eigentlich sehr gut planbar, weil weitgehend reguliert. Die Eigentümer wollen eine stabile Dividende. Wir haben ein Dividendenmodell, das sich eng an die regulatorische Rendite koppelt. Da haben wir in den vergangenen Jahren geliefert. Wir haben weiter Diskussionen um den Eigenkapitalzins. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass sich der beschlossene Zinssatz von 5,07 %, der ab 2024 gelten soll, noch einmal ändert und angesichts der Zinswende angepasst wird. Das ist auch nötig, weil die Eigenkapitalrenditen sehr niedrig sind, auch im europäischen Vergleich.

Ihre Ergebnisse waren trotz der Berechenbarkeit in der jüngsten Vergangenheit dennoch schwankend.

Unsere Ergebnisse sind eigentlich ziemlich stabil und wachsen mit den Investitionen. Wir hatten zuletzt eine Besonderheit aufgrund der hohen Gas- und Strompreise. Wir finanzieren zunächst auch das Engpassmanagement, das heißt, die Kosten für Eingriffe ins Netz laufen zuerst bei uns auf, die geben wir aber weiter über die Netzentgelte. Nur bisher haben wir die Kosten erst in späteren Rechnungsperioden erstattet be­kom­men. Dadurch wurden unsere Ergebnisse sehr volatil und das war auch schwierig dem Kapitalmarkt zu vermitteln. Neu ist, dass wir jetzt nach HGB regulatorische Forderungen bilden können. Damit glätten wir unsere Erträge und die Ergebnisdarstellung wird sachgerechter. In IFRS stellen wir ein bereinigtes Ergebnis dar.

Was sind die größten Risiken für Ihr Geschäftsmodell?

Per se ist unser Geschäftsmodell sehr risikoarm. Unsere Risiken bestehen darin, im Zeitplan fertig zu werden. Das ist aber kein existenzielles Risiko. Sie müssten schon die Vorgaben der Regulatorik hart verletzen, um einen signifikanten negativen Einfluss zu haben.

Warum ist dann das Rating nur „Baa1“?

Es gibt eine Metrik, wie solche Einstufungen berechnet werden. Da spielt zum Beispiel der Cashflow eine Rolle. Und gerade, wenn man extrem wächst, dann sind die Schulden für die nötigen Investitionen sofort da, der Cash und die Erträge daraus laufen aber nach. Das beeinflusst die Trigger der Ratingagenturen. Das haben wir aber auch die Ratingagenturen schon gefragt: Wo ist denn eigentlich das Risiko?

Was ist mit dem physischen Risiko für das Netz – Anschläge oder unter Schneemassen einstürzende Strommasten – unter finanziellen Aspekten?

Wir sind umfassend versichert. Wir haben zum Beispiel eine Cyber-, eine Terror- und eine Betriebshaftpflichtversicherung für Stromausfälle. Wenn es große Schäden im Netz gäbe, die nicht mehr versichert sind und die wir selbst nicht mehr tragen könnten, müssten wir einen Härtefallantrag bei der Bundesnetzagentur stellen. Das ist allerdings ein extrem unwahrscheinliches Szenario.

Hat eine Deutsche Netz AG – die Idee eines großen deutschen Übertragungsnetzbetreibers, die auch im Frühjahr wieder diskutiert wurde – noch eine Chance auf Realisierung?

Wir sind dafür da, Infrastruktur zu bauen und Netze sicher zu betreiben. Ob man so etwas in staatliche Hand holen möchte, ist eine politische Entscheidung. Wir sollten allerdings nichts tun, was den Netzausbau gefährdet. Wenn wir jetzt anfangen, völlig neue Strukturen zu schaffen, verlieren wir Zeit auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Das Interview führte

BZ+
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