EuGH-Urteil

Auto­bauern drohen neue Klagen in Diesel­affäre

Der Europäische Gerichtshof stärkt mit einem Grundsatzurteil Ansprüche betroffener Kunden auf Schadenersatz. Verbraucheranwälte frohlocken bereits.

Auto­bauern drohen neue Klagen in Diesel­affäre

rec Brüssel

Deutsche Autohersteller müssen sich auf neue Klagen im Dieselskandal gefasst machen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dürfen deutlich mehr Kunden als bislang auf Schadenersatz hoffen, wenn sie ein Auto mit illegaler Abschalteinrichtung fahren. „Dieses Urteil ist ein großer Erfolg für den Verbraucherschutz“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in zahlreichen Verfahren vertritt. Millionen Dieselfahrer hätten dadurch Anspruch auf Schadenersatz.

Betroffene Autobesitzer haben nun deutlich bessere Aussichten auf Entschädigung. Das betrifft auch Fälle, in denen dies nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht möglich schien. Der BGH vertrat bislang die Auffassung, dass Autohersteller nur bei vorsätzlichem Betrug für Schäden haftbar gemacht werden können. Der EuGH geht nun deutlich weiter: Demnach haften Hersteller schon bei Fahrlässigkeit, nicht erst bei Vorsatz.

Ausgangspunkt ist ein Verfahren vor dem Landgericht Ravensburg. Darin geht es um ein System zur Abgasrückführung in einer Mercedes-C-Klasse, das teilweise erhöhte Schadstoffemissionen verursacht. Andere Autobauer setzen auf ähnliche Systeme zur Abgasreinigung, die je nach Außentemperatur eingeschränkt funktionieren. Bei den Herstellern ist von einem „Thermofenster“ zum Schutz des Motors die Rede. Die Ravensburger Richter beurteilen das als illegale Abschalteinrichtung. Vorsätzliches Handeln von Mercedes-Benz erkennen sie gleichwohl nicht. Vom EuGH wollten sie wissen, ob dem Kläger trotzdem Schadenersatz zusteht – was die Luxemburger Richter bejahen.

Das Urteil dürfte Folgen für Tausende ähnlich gelagerte Fälle haben. Der „Dieselsenat“ des BGH hat für den 8. Mai bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich „möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht“ erörtern will, um den unteren Instanzen möglichst schnell Leitlinien an die Hand zu geben. Hier geht es um einen Dieselmotor von Volkswagen, unter anderem mit einem „Thermofenster“. Offen bleibt die Höhe der Schadenersatzansprüche. Dazu macht der EuGH keine Angaben. Überhaupt ist es nun Sache der deutschen Gerichte, wie sie mit dem EuGH-Urteil umgehen.

Auf diesen Umstand weist Mercedes-Benz in einer Reaktion hin. „Der EuGH hat klar betont, dass es nur um den Schaden geht, der einem Käufer tatsächlich entstanden ist“, sagt eine Unternehmenssprecherin. „Zudem muss eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, was im vorliegenden Fall streitig ist.“

Verbraucherschützer frohlocken hingegen. „Diese Entscheidung vereinfacht die Durchsetzung von Abgasskandalansprüchen für betroffene Verbraucher enorm“, sagt Rechtsanwalt Claus Goldenstein, der nach eigenen Angaben mehr als 50000 Mandanten im Zuge des Dieselskandals vertritt. Aus Goldensteins Sicht muss der BGH nun zwangsläufig Besitzern von Dieselfahrzeugen mit sogenannten Thermofenstern Schadensersatz zusprechen. „Von dem heutigen Urteil können europaweit mehrere Millionen Menschen profitieren.“ Nach Schätzungen der Umwelthilfe betrifft es bis zu 8,6 Millionen Pkw-Besitzer. „Entscheidend wird nun sein, dass die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen abschließend gerichtlich festgestellt wird“, sagt Rechtsanwalt Klinger im Auftrag der DUH.

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