Serie Infrastruktur: Deutsche Netz AG

Bund festigt Zugriff auf Strom­autobahnen

Die Energiewende, die Deutschland von russischem Gas unabhängig macht, braucht schnelle Milliardeninvestitionen. Dafür mischt der Staat bei den Stromautobahnen mit. Im ersten Schritt beteiligt sich der Bund an der EnBW-Tochter Transnet BW und der Deutschland-Netztochter der niederländischen Tennet.

Bund festigt Zugriff auf Strom­autobahnen

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Schritt für Schritt sichert sich die Bundesregierung den Zugriff auf die Stromautobahnen. Das russische Gas soll in der Stromerzeugung so schnell wie möglich ersetzt werden, möglichst durch erneuerbare Energien. Zur Finanzierung der notwendigen Stromautobahnen, die Windräder im Norden mit Fabriken im Süden verbinden, kommt im Bundeswirtschaftsministerium das Projekt Deutsche Netz AG wieder auf den Tisch.

Dabei geht es um die teilweise oder vollständige Verstaatlichung der vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW, deren enormer Kapitalbedarf in den kommenden Jahren nur mit öffentlichen Mitteln zu stemmen sein dürfte.

Fachleuten zufolge benötigen diese Netzbetreiber in absehbarer Zeit jeweils frisches Eigenkapital zwischen 3 Mrd. und 4 Mrd. Euro, um den Ökostromanteil bis 2030 auf 80 % zu steigern. Damit würde die deutsche Wirtschaft klimafreundlicher und weniger anfällig für externe Energiepreisschocks.

Bei 50Hertz ist der Bund schon drin. Die Bundesregierung wollte 2019 mit der Beteiligung von 20 % an 50 Hertz zunächst nur den Einstieg des chinesischen Netzbetreibers SGCC verhindern und die Anteile eigentlich nur bei der KfW „zwischenparken“. Großaktionäre des börsennotierten belgischen 50-Hertz-Mutterkonzerns Elia sind die belgischen Kommunen.

Erneut in Bewegung kommen könnte der „Flickenteppich“ der vier großen Netzbetreiber in Deutschland durch einen ­Vorstoß des Energiekonzerns EnBW, der dem Land Baden-Württemberg und den Kommunen gehört. EnBW hat Morgan Stanley im April 2022 beauftragt, Optionen zu prüfen, um beim Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW einen langfristigen Finanzpartner für eine Beteiligung von maximal 49,9 % an Bord zu nehmen. Ein Teil soll an die KfW gehen, der schon der 20-Prozent-Anteil an 50Hertz gehört. Wie ein KfW-Sprecher bestätigt, hat die KfW am 17. August mit EnBW eine Vereinbarung zum Vorkaufsrecht (Call-Option) auf einen indirekten Minderheitsanteil an Transnet BW von 24,95 % unterzeichnet. In Finanzkreisen heißt es, die übrigen 24,95 % an Transnet BW könnten an eine oder mehrere baden-württembergische Sparkassen gehen.

Bewegung gibt es zudem noch an einer zweiten Stelle: Eigentümer des größten deutschen Netzgebietes ist Tennet, ein 100-prozentiger Staatskonzern der Niederlande, die verständlicherweise wenig Lust verspüren, Milliarden in das deutsche Netz zu stecken. Die Bundesregierung will deshalb entweder eine Mehrheitsbeteiligung oder die gesamte deutsche Tochtergesellschaft des niederländischen Stromnetzbetreibers als Teil der geplanten Energiewende kaufen.

„Für das Ziel, die Energiewende zu beschleunigen und bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, wird ein erheblicher weiterer Netzausbau in Deutschland erforderlich sein“, sagt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. „Dies betrifft insbesondere die Regelzone von Tennet.“ Die Bundesregierung und die niederländische Regierung hätten sich deshalb darauf verständigt, die Verhandlungen über eine mögliche deutsche Beteiligung an Tennet Deutschland wiederaufzunehmen. Die neuen, vertraulichen Gespräche mit der niederländischen Regierung seien aber erst angelaufen: „Die Bundesregierung äußert sich nicht zu den laufenden Verhandlungen.“

Kürzlich hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärt, eine Beteiligung an Tennet sei „politisch attraktiv“, nannte aber keine Details. Möglichkeiten zur Einflussnahme bei Tennet Deutschland seien von zen­traler Bedeutung, hieß es in einem Schreiben des Finanzministeriums an den Bundestag.

Die Niederlande hatten im Mai 2020 eine Vereinbarung mit Deutschland unterzeichnet, um den Verkauf eines Anteils an der Deutschlandtochter zu prüfen, um zur Finanzierung des ehrgeizigen Tennet-Investitionsplans von bis zu 50 Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren beizutragen, von denen etwa 70 % in Deutschland getätigt werden sollen. Der Investitionsbedarf von Tennet steigt mit dem Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland.

Der Kapitalbedarf für den deutschen Tennet-Teil habe sich 2021 auf 11 Mrd. Euro verdoppelt, schrieb die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag in einem Brief an das Parlament. Tennet benötige frisches Kapital, um die deutschen Aktivitäten bis Anfang 2024 zu finanzieren. Das Geld muss von externen Investoren kommen, da der niederländische Staat wiederholt erklärt hat, dass er nur Kapital für niederländische Aktivitäten bereitstellt. „Daher bleibt es sehr wichtig, eine langfristige Lösung für den deutschen Kapitalbedarf zu finden“, erklärte Kaag. Eine Entscheidung über eine mögliche Investition durch Deutschland werde für Anfang 2023 erwartet, um Zeit für die Suche nach alternativen Lösungen zu haben, falls die Bundesregierung sich gegen eine Investition entscheidet.

Nach dem Einstieg bei Transnet BW und Tennet wäre der Bund an drei der vier Übertragungsnetzbetreiber beteiligt. Nur Amprion aus Dortmund gehört mehrheitlich einer Gruppe privater institutioneller Investoren (74,9 %) sowie dem Stromerzeuger RWE (25,1 %).

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