Wettbewerbsfähigkeit

Chemie in die Enge getrieben

Anhaltend hohe Energiepreise trüben die Aussichten der deutschen Chemieindustrie ein. Der Branche steht ein dramatischer Strukturwandel ins Haus.

Chemie in die Enge getrieben

Markus Steilemann, seit knapp drei Monaten Präsident des deutschen Chemieverbands VCI, zieht verbal alle Register, um die trüben Aussichten seiner Branche zu verdeutlichen. Die Lage des drittgrößten deutschen Industriesektors sei dramatisch, viele Produzenten stünden mit dem Rücken zur Wand, die Ertragslage habe sich rapide verschlechtert, jede vierte Firma schreibe Verluste, die Wertschöpfungsketten reißen, die Politik tue zu wenig und nehme ein Industriesterben in Kauf, Berlin sei unterlassene Hilfeleistung vorzuwerfen, der Doppelwumms drohe zur Fehlzündung zu werden. Es sind markige Worte, doch reinen Theaterdonner kann man dem Manager nicht vorwerfen. Die Chemieindustrie geht in der Tat durch dunkle Zeiten, und Lichtblicke sind kurzfristig, wenn nicht sogar mittelfristig nicht in Sicht.

Die Chemikalienanbieter sind wie kaum eine andere Branche von hohen Energiepreisen getroffen. Erdgas wird dabei nicht nur als Energieträger in hohem Umfang gebraucht, sondern genauso als Rohstoff und Ausgangsprodukt für viele Erzeugnisse. Sowohl die Gefahr einer Gasmangellage als auch explodierende Preise bringen viele Anbieter an ihre Grenzen. Viele Unternehmen haben bereits energieintensive Produktion heruntergefahren – und damit unfreiwillig zum nationalen Energiesparziel beigetragen. Das Problem ist auf Sicht nicht zu lösen, Strom- und Gaspreise werden dauerhaft hoch bleiben, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zunehmend in Frage stellt. Bestimmte Produkte werden in Deutschland schlichtweg nicht mehr rentabel herzustellen sein. Schon jetzt wandert Produktion ins Ausland ab. Es zeichnet sich ein Strukturwandel ab, der nicht nur die Chemie treffen wird, zumal sie am Anfang vieler Wertschöpfungsketten steht.

Dass nun nach dem Staat gerufen wird, ist nachvollziehbar, auch wenn viele Unternehmensvertreter Subventionen früher als Teufelszeug verwarfen. Es braucht die Gas- und Strompreisbremse, und man sollte der Forderung nach Bürokratieabbau und bedachtsamer Chemikalienregulierung in Krisenzeiten nachkommen. Entscheidend wird zudem sein, dass der Ausbau von erneuerbarer Energie mit allen Mitteln beschleunigt wird. Die Branche weist zu Recht darauf hin, dass sie 2045 das Zehnfache an elektrischer Energie benötigen wird.

In der Kritik der Bedingungen der Strom- und Gaspreisbremse sollte die Chemie indes verbal mehr Mäßigung an den Tag legen, um ihr Image in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden. Eine völlig auflagenfreie staatliche Hilfe kann es nicht geben. Das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft heißt Geben und Nehmen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.