Ende der Null-Covid-Politik

Chinas falsche Wirtschafts­pragmatiker

Mit dem Ende der Null-Covid-Politik in China soll nun der große Aufschwung kommen. Das ist leichter gesagt als getan.

Chinas falsche Wirtschafts­pragmatiker

Sechs Wochen lang haben sich Chinas Finanzmärkte ausgiebig mit den Freuden eines Ausstiegs aus der verheerenden Coronapolitik unter dem Null-Covid-Banner befassen dürfen. Erst sah man eine Marktrally aufgrund wilder Spekulationen über zunächst wenig realistisch wirkende Lockerungsszenarien. Dann eine Hausse nach ersten offiziellen Signalen einer Anpassung der Restriktionen. Und nach dem ruckartigen Überbordkippen sämtlicher Beschränkungen in der ersten Dezemberwoche gab es einen weiteren massiven Schub.

Die Ratio für den Marktenthusiasmus ist simpel und einleuchtend: Wenn China die aus ideologischem Stolz verantwortete und extrem wirtschaftsschädigende Null-Covid-Politik revidiert, kann es mit der Konjunktur nur aufwärts gehen und alles wieder besser werden. Nach einem Jahr mit einem in China völlig ungewohnten Konsumstillstand werden sich die Verbraucher 2023 sicherlich aus­toben wie nie, die Reise- und Gaststättenbranche in den Höhenrausch versetzen und das Wirtschaftsvertrauen auf präpandemische Höhen bringen.

Zwei Wochen nach der drastischen Wende in der Coronapolitik stellt sich ein völlig anderes Bild dar. Verschwunden sind nicht nur sinnlose und brutale Dauer-Lockdowns und Zwangsquarantänebestimmungen, sondern auch durchaus sinnvolle Schutzauflagen und Testregeln, mit denen Ansteckungsgefahren in China deutlich weniger als im Rest der Welt gering gehalten wurden. Statt eines vorsichtigen Zurückdrehens der offiziell so erfolgreichen Null-Covid-Politik und gezielten Schutzvorbereitungen für die gegenüber einer Coronawelle am stärksten anfälligen Menschengruppen hat man nun einfach die Gatter geöffnet.

Die von einem Tag auf den anderen von hochgefährlich auf harmlos eingestufte Omikron-Virusvariante darf jetzt frei durchs Land galoppieren. Mit einer im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Trotzreaktion hat sich die Staatsführung nun aller Verantwortung für Pandemiekontrolle, dem jetzt unausweichlichen gesundheitspolitischen Chaos und der voraussichtlich dramatischen Sterbewelle in der älteren Bevölkerung entledigt. An den Börsen wird dies mit einer makabren Nebenrally quittiert, bei der nur noch Aktien bestimmter Pharmaunternehmen, Krankenhausbetreiber sowie der Bestattungsindustrie haussieren. Die Börsenwette auf Chinas fundamentale Wirtschaftserholung hat sich indes gelegt.

Chinas Wirtschaftswachstum wird nach einem miserablen Schlussquartal im Gesamtjahr 2022 voraussichtlich unter 3% liegen. Schwächer sah es nur zu Pandemiebeginn 2020 aus. Da standen 2,3% zu Buche, für die sich China als einzige größere Nation mit überhaupt positivem Wirtschaftswachstum aber tatsächlich feiern konnte. Diesmal gibt es nichts zu feiern. Vielmehr dürfte China erstmals ein Wachstum unterhalb des globalen Durchschnitts vorlegen. Was den imposanten Aufschwung wegen der Null-Covid-Wende angeht, den die Märkte im Überschwang gefeiert haben, mehren sich die Fragezeichen. Freilich, die statistischen Basiseffekte nach dem diesjährigen Debakel sollten ausreichen, um Chinas Wachstum 2023 wieder freundlicher beziehungsweise gewohnter aussehen zu lassen. Aber von Normalität wird keine Rede sein können.

Der jetzt durch China rasenden ersten Ansteckungswelle werden nach Meinung von Pandemieexperten bis zum Frühjahr mindestens zwei weitere folgen. Sie dürften das Konsumvertrauen über Monate am Boden halten und die Industrie vor massive Probleme mit Arbeitsausfällen und Lieferengpässen stellen. Die in den ersten zwei Pandemiejahren geradezu glänzend laufende Exportwirtschaft steht vor der neuen Herausforderung eines schroffen Rückgangs der globalen Nachfrage. Chinas Wirtschaft kann sich anders als 2020 diesmal nicht aus einer Konjunkturdelle „herausexportieren“. Vom kriselnden Immobiliensektor sind erst recht keine bestimmenden Wachstumsimpulse zu erwarten.

Chinas Parteiführung hat nach ihrer gerade absolvierten internen Wirtschaftsplanungstagung nun eine offensive Wachstumspolitik mit Stärkung der Binnennachfrage als neue Erfolgsformel angekündigt. Manche werten dies als ein Bekenntnis zu einer Rückkehr zu einer pragmatischen Wirtschaftspolitik als Kontrastprogramm zum ideologischen Verrennen der letzten Jahre. Bislang hat Peking mit dem Corona-U-Turn jedoch nur Voraussetzungen geschaffen, die eine rasche Wirtschaftserholung garantiert er­schweren, nämlich Angst und Verunsicherung in der breiten Bevölkerung. Wer endlich aufhört, sich ins eigene Knie zu schießen, ist noch lange kein „Pragmatiker“.

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