Der Countdown für Paris 2024 läuft
Müllsäcke, die sich in einigen Arrondissements an den Straßenecken stapeln, Métros und Vorortbahnen, die wegen Streiks, Pannen und Bauarbeiten ausfallen: Weniger als 500 Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris gibt es für Frankreich noch jede Menge zu tun. Es werde nicht alles perfekt sein, gab Präsident Emmanuel Macron jetzt zu. „Wir wissen, dass das angesichts unseres städtischen Transportnetzes unmöglich ist.“ Frankreichs Staatsoberhaupt räumte ein, ein wenig Druck auf die betroffenen Dienstleister machen zu müssen. Es habe ein paar unvorhergesehene schlechte Nachrichten im Hinblick auf die Mobilität gegeben. Welche, sagte Macron nicht.
Neben dem Zustand des öffentlichen Nahverkehrs bereitet auch die Sicherheit Sorgen. Immerhin werden im Zeitraum vom 24. Juli bis zum 11. August 2024 7 Millionen Zuschauer in Paris erwartet. Dazu kommen 250 000 Athleten und ihre Angehörigen, Mitarbeiter des Olympischen Komitees, freiwillige Helfer und Journalisten. Ihre Sicherheit muss nicht nur an, sondern auch auf dem Weg zu den 25 Austragungsorten gewährleistet sein, von denen 12 innerhalb der von der ringförmigen Stadtautobahn begrenzten französischen Hauptstadt liegen. 13 befinden sich in den anliegenden Vororten.
Auch weitere Premium-Sponsoren müssen noch gefunden werden. Seit Monaten wird spekuliert, dass sich LVMH der Bankengruppe BPCE, dem Einzelhändler Carrefour, dem Stromversorger EDF (Électricité de France), dem Telekomanbieter Orange und dem Pharmakonzern Sanofi anschließen könnte. Doch eine offizielle Ankündigung ist noch immer nicht erfolgt. Bisher können die Organisatoren neben den Premium-Sponsoren auch auf die internationalen Partner der Olympischen Spiele bauen, zu denen Airbnb, Alibaba, Allianz, Atos, Bridgestone, Coca-Cola, Deloitte, Intel, Omega, Panasonic, P&G, Samsung, Toyota und Visa gehören. Zusammen mit dem Olympischen Komitee sollen sie 1,24 Mrd. Euro zum Budget des Organisationskomitees Paris 2024 beitragen, heimische Partner 1,23 Mrd. Euro.
Die Folgen des Ukraine-Krieges – die beschleunigte Inflation und der starke Anstieg der Energiepreise – haben die Budgets der beiden für die Finanzierung zuständigen Strukturen ansteigen lassen. So ist neben dem Organisationskomitee Paris 2024 die Société des Livraisons des Ouvrages Olympiques (Solideo) für die Infrastrukturen der Olympischen Sommerspiele 2024 zuständig. Ihr Budget beläuft sich auf knapp 4,4 Mrd. Euro, das von Paris 2024 ebenfalls, nachdem es 2020 noch mit 3,98 Mrd. Euro angesetzt war.
Die Inflation ist für gut die Hälfte des Budgetanstiegs des Organisationskomitees verantwortlich. Laut Fabrice Lacroix, dem Verwaltungs- und Finanzdirektor des Organisationskomitees, wirkt sich der Anstieg der Preise 2022 sowohl auf noch zu unterzeichnende als auf bereits bestehende Verträge aus. Um den für dieses und nächstes Jahr erwarteten Preisanstieg zu decken, hat das Organisationskomitee 75 Mill. Euro zurückgestellt. Die Ausgaben für die vier Zeremonien der Olympischen Spiele sind mit 130 Mill. Euro inzwischen 30 Mill. Euro höher angesetzt als noch vor zwei Jahren. Allein die Eröffnungszeremonie, die auf und entlang des Flusses Seine und nicht in einem Stadion stattfinden soll, dürfte rund 100 Mill. Euro kosten. Die für Sicherheit und Cybersicherheit vorgesehenen Kosten haben sich um 40 Mill. Euro erhöht. Sie könnten jedoch noch weiter steigen. So schätzt der Rechnungshof, dass die Sicherheit in den bisherigen Budgetberechnungen nicht genügend berücksichtigt ist.
Allein die Ausgaben für die öffentlichen Sicherheitskräfte dürften sich laut einer vorläufigen Berechnung auf 419 Mill. Euro belaufen. Dabei dürfte es nicht bleiben, denn der Rechnungshof geht davon aus, dass das Organisationskomitee zusätzlich zu den für die Spiele vorgesehenen 35 000 Vertretern der inneren Sicherheit und 10 000 Soldaten zusätzlich jeden Tag der Olympischen Spiele 22 000 bis 33 000 private Sicherheitskräfte benötigen wird.
Laut einer Kommission der Assemblée Nationale hat es jedoch bisher gerade mal 4 500 private Sicherheitsfachkräfte engagiert. 18 Monate vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris habe die private Sicherheitsbranche ein besorgniserregendes Kapazitätsdefizit, warnt sie. Europäische Flughafenbetreiber können ein Lied davon singen. Der Staat und der Großraum Paris hätten zwar Maßnahmen ergriffen, um die Arbeit für private Sicherheitskräfte attraktiver zu machen, doch zu spät, um darauf hoffen zu können, dass bis zu Beginn der Olympischen Spiele genügend Sicherheitsleute zur Verfügung stünden, heißt es in einem Bericht der Parlamentskommission.
Der Rechnungshof drängt das Organisationskomitee deshalb, im ersten Halbjahr 2023 den Sicherheitsplan für das Großereignis festzuzurren und Alternativen zu privaten Sicherheitskräften auszuarbeiten. Man werde zusätzliches Personal anheuern, vielleicht in anderen französischsprachigen Ländern, erklärte Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra bei einer Anhörung in der Nationalversammlung Anfang März. Man werde auch versuchen, Personen, die über die notwendigen Qualifizierungen verfügten, aber nicht mehr als private Sicherheitskraft tätig seien, wieder zurückzuholen, sagte sie.
Wie in anderen Ländern haben auch in Frankreich während der Covid-Pandemie viele Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten beruflich umgesattelt. Die Branche versucht nun, sie mit Gehaltserhöhungen zurückzulocken. So hat sie die Löhne 2022 um 3,5% erhöht, im Januar dann noch mal um 7,5%. Da all das möglicherweise nicht ausreichen wird, hofft die Regierung, Studenten und Arbeitssuchende gewinnen zu können. Ihnen wird eine extra verkürzte Ausbildung als Sicherheitskraft bei den Olympischen Spielen angeboten, die statt der sonst üblichen 175 Stunden nur 106 Stunden dauern soll. Eine ähnliche Maßnahme hatte während der Fußball-Europameisterschaft 2016 allerdings nicht den gewünschten Erfolg.
Der Personalmangel bereitet auch dem Pariser Nahverkehrsunternehmen RATP und der Bahn SNCF, die die Vorortzüge betreibt, Kopfzerbrechen. Sie haben versprochen, die Frequenzen von Métro- und Bahnlinien, die Zuschauer zu den Stadien bringen, um 15% zu erhöhen. Doch die beiden haben bereits jetzt Schwierigkeiten, das zugesagte Angebot einhalten zu können, weil sie nicht genügend Personal dafür haben. Die RATP musste deshalb 2022 eine Strafe zahlen. Beide wollen nun verstärkt einstellen. Das dürfte zu Mehrkosten von 200 Mill. Euro führen, schätzen Beobachter. Sie fürchten auch, dass Gewerkschaften die Spiele für Streiks nutzen könnten, um gegen die wenige Monate später geplante Liberalisierung der Nahverkehrsbusse im Großraum Paris zu protestieren.
Auch die Infrastruktur selber gibt Anlass zu Sorge. Bei der Kandidatur vor sieben Jahren hatte Paris versprochen, dass das Mediendorf und das olympische Dorf vom Flughafen Roissy-Charles de Gaulle aus mit der künftigen Métro-Linie 17 in 22 beziehungsweise 30 Minuten erreichbar seien. Die Linie dürfte jedoch nicht vor 2030 fertig gestellt werden. Der CDG Express vom CDG-Flughafen in die Stadt und die Métro-Linie 16 werden ebenfalls nicht fertig sein. Damit nicht genug, denn Experten fürchten auch, dass die Métro-Stationen entlang der Seine nicht für den Ansturm nach der Eröffnungszeremonie ausgelegt sind. Bis 2024 haben die Organisatoren noch eine Menge zu tun.