Geldpolitik

EZB sorgt für doppelte Überraschung

Der EZB-Rat überrascht die Beobachter: Die Leitzinsen steigen zwar wie weithin erwartet um 50 Basispunkte. Er avisiert aber unerwartet deutlich einen weiter straffen Zinskurs – und trifft unerwartet konkrete Beschlüsse zum Bilanzabbau.

EZB sorgt für doppelte Überraschung

ms Frankfurt

Angesichts der hartnäckigen Inflation setzt die Europäische Zentralbank (EZB) zu einem Doppelschlag an. Zum einen sollen die Leitzinsen trotz der schon jetzt beispiellosen Straffung weiter deutlich angehoben werden, und zwar in den restriktiven Bereich, also auf ein Niveau, das die Euro-Wirtschaft aktiv bremst. EZB-Präsidentin Christine Lagarde signalisierte dabei, dass der Einlagenzins von jetzt 2,0% bis auf mehr als 3,0% angehoben werden könnte. Zum anderen beginnt die EZB bereits im März damit, die Bilanz des Eurosystems anzubauen – wobei der Anleihebestand zunächst um 15 Mrd. Euro im Monat sinken soll.

Die EZB überraschte damit viele Beobachter. Diese hatten zwar da­rauf gesetzt, dass der EZB-Rat nach der erwarteten neuerlichen Zinserhöhung um 50 Basispunkte weitere Schritte avisieren würde. Die meisten hatten aber erwartet, dass sich der Rat nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen würde. Auch beim Bilanzabbau hatten viele prognostiziert, dass es die EZB zunächst bei sehr allgemeinen Prinzipien belassen und nicht schon Startzeitpunkt und Abbaupfad beschließen würde.

Vor dem Hintergrund erneut deutlich angehobener Inflationsprojektionen der EZB-Volkswirte (siehe Text unten auf der Seite) beschloss der EZB-Rat jetzt nicht nur, die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte anzuheben. Die Erhöhungen seit Juli summieren sich damit auf 250 Basispunkte – eine beispiellose Straffung der EZB. Der Rat stellte zudem weitere signifikante Anhebungen in Aussicht und erklärte erstmals, dass es ein restriktives Niveau brauche.

„Der EZB-Rat ist der Auffassung, dass die Zinsen noch deutlich und in einem gleichmäßigen Tempo steigen müssen, um ein ausreichend restriktives Niveau zu erreichen, das eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2-Prozent-Ziel gewährleistet“, heißt es im Statement des Gremiums. „Ein restriktives Zinsniveau wird im Laufe der Zeit die Inflation senken, indem es die Nachfrage dämpft und gleichzeitig dem Risiko vorbeugen, dass sich die Inflationserwartungen dauerhaft nach oben verschieben.“

Der EZB-Rat erklärte, dass die Entscheidungen weiter datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung getroffen würden. Bei der Pressekonferenz sagte Lagarde indes, dass nach aktuellem Stand für einen bestimmten Zeitraum 50-Basispunkte-Zinsschritte angemessen seien. Ungewöhnlich deutlich sagte sie zudem, dass die Zinserwartungen am Markt vor der Sitzung zu niedrig angesetzt seien. Vor der Sitzung war der Zinsgipfel bei knapp 3,0% erwartet worden. Nach der Zinserhöhung am Donnerstag liegt der Einlagenzins bei 2,0%, der Leitzins bei 2,5%. Nach der Entscheidung revidierten viele Experten ihre Zinsprognosen nach oben.

Lagarde räumte ein, dass es unterschiedliche Ansichten gegeben habe. Einige Notenbanker hätten eine stärkere Zinserhöhung favorisiert, andere eine geringere. Am Ende habe aber eine „große Mehrheit“ die Entscheidung getragen. Dem Vernehmen nach war rund ein Drittel des 25-köpfigen EZB-Rats für 75 Basispunkte.

In Sachen Bilanzabbau beschloss der EZB-Rat, ab Anfang März 2023 die Bestände aus dem Anleihekaufprogramm APP (Asset Purchase Programme) „in einem maßvollen und vorhersehbaren Tempo“ zu reduzieren. Das Eurosystem werde die Tilgungsbeträge von Wertpapieren bei Fälligkeit nicht mehr vollumfänglich wieder anlegen. Bis zum Ende des zweiten Quartals 2023 werden die Bestände demnach monatlich im Durchschnitt um 15 Mrd. Euro reduziert. Das Tempo danach will der EZB-Rat „im Zeitverlauf“ festlegen.

Auf seiner Sitzung im Februar will der EZB-Rat die genauen Parameter zur Verringerung der APP-Bestände bekanntgeben. „Der EZB-Rat wird das Tempo zum Abbau des APP-Portfolios regelmäßig neu beurteilen, um Konsistenz mit der Strategie und dem Kurs der Geldpolitik insgesamt sicherzustellen, die Funktionsfähigkeit des Marktes aufrechtzuerhalten und die kurzfristigen Geldmarktbedingungen weiterhin sicher steuern zu können“, hieß es. EZB-Vizepräsident Luis de Guindos sagte erneut, dass der Bilanzabbau für die EZB absolutes Neuland sei.

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