Fachkräftemangel macht Unternehmen erpressbar
Fachkräfte sind rar, darüber klagen Unternehmen in Deutschland seit Jahren. Inzwischen gilt jedoch: Fachkräfte sind rar, und sie wissen es auch. Unternehmen benötigen, um eine offene Stelle zu besetzen, schon heute im Durchschnitt ganze fünf Monate, bis die Vakanz gefüllt ist. Diese Knappheit führt zu manch seltsamer Episode. Führungskräfte berichten von Berufsanfängern, die schon nach wenigen Monaten im Job überaus sportliche Gehaltsaufschläge fordern. Andere machen bereits im ersten Gespräch für einen potenziellen neuen Job deutlich, dass bei der Arbeitszeitgestaltung doch bitte auf ihren Jagdscheinkurs Rücksicht zu nehmen sei.
Noch vor wenigen Jahren hätten Vorgesetzte über solch ein Verhalten wohl bloß den Kopf geschüttelt, eine Absage verteilt und die Episode gedanklich als skurrile Anekdote verbucht. Heute ist das in vielen Branchen nicht mehr so einfach. Selbst ein eingeschränkt verfügbarer oder teuer bezahlter Mitarbeiter könnte besser sein als eine Vakanz.
Die Zahlen des jüngsten KfW-Ifo-Fachkräftebarometers sprechen eine deutliche Sprache: Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Einwohner im Erwerbsalter zwischen 20 und 66 Jahren hierzulande bis 2040 um 9,3 Millionen Menschen zurückgehen, ein Minus von 18%, rechnet die KfW vor. Der demografische Wandel reiche derart weit, dass man an mehreren Hebeln gleichzeitig ansetzen müsse. Viele Lösungsmöglichkeiten sind seit Jahren in der Diskussion: Verbesserte Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung könnten dazu beitragen, die Erwerbsbeteiligung von Müttern und Vätern zu steigern. Außerdem braucht der Arbeitsmarkt hierzulande auch Fachkräfte aus anderen Ländern. Doch die Fortschritte sind zäh.
Ende November hat das Bundeskabinett nun die Eckpunkte für eine Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsrechts verabschiedet, um es für Fachkräfte aus dem Ausland einfacher zu machen, in Deutschland eine Anstellung anzutreten. Auch der Prozess zur Anerkennung von Berufsabschlüssen und zur Visa-Bewilligung soll verbessert werden, die langwierigen Abläufe gelten als eines der größten Hindernisse bei der Zuwanderung. Ein Gesetzesentwurf soll „zeitnah“ in den Bundestag eingebracht werden. Es wird höchste Zeit. Zwar gab es schon immer Schlüsselpersonal, das in bestimmten Bereichen nur schwer zu ersetzen war – Menschen, die besondere Branchenkenntnisse, langjährige Erfahrung oder seltene Spezialqualifikationen mitbringen. Mittlerweile ist vielerorts aber fast jede Stelle schwer zu besetzen. Die Folgen bekommen Unternehmen in nahezu allen Branchen gerade zu spüren: Sie werden zunehmend erpressbar.