Ministerpräsident

Fliegender Li-Wechsel in China

Der neue Regierungschef Li Qiang (63) ist ins Amt eingeführt worden und tritt die Nachfolge seines Namensvetters Li Keqiang (67) an.

Fliegender Li-Wechsel in China

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Chinas Staatspräsident Xi Jinping sorgt in seiner dritten Amtszeit mit einer weitreichenden Regierungsumbildung dafür, dass in den kommenden fünf Jahren alle Schlüsselpositionen im Partei- wie auch im Verwaltungsapparat mit besonders engen Vertrauten und persönlichen Weggefährten besetzt sind. Mit dem Abschluss des Nationalen Volkskongresses ist nun der neue Regierungschef Li Qiang (63) ins Amt eingeführt worden und tritt die Nachfolge seines Namensvetters Li Keqiang (67) an. Dieser hatte über 15 Jahre hinweg in seiner Verantwortung als Premier und zuvor Vizepremier mit der Befürwortung eines reformorientierten und kapitalmarktfreundlichen Wirtschaftskurses den Begriff „Likonomics“ geprägt.

Trotz unbestrittener Kompetenzen als Wirtschafts- und Verwaltungsexperte und Erfolgen bei Chinas engerer Anbindung an internationale Finanzmärkte, dürfte Li Keqiang im Vergleich zu seinen Vorgängern Wen Jiaobao und Zhu Rongji als der am wenigsten einflussreiche Premier der neueren chinesischen Wirtschaftshistorie eingehen. Li ist der drastischen Veränderung der Machtbalance im Staatsapparat zum Opfer gefallen, mit der Xi als Parteiführer und Präsident die Kontrolle über den Regierungsapparat und damit auch die Wirtschaftsverantwortung für sich beanspruchte.

Der neue Premier und vormalige Parteichef von Schanghai, Li Qiang, muss als jahrzehntelanger politischer Wegbegleiter von Xi nicht befürchten, über machtpolitische Schachzüge marginalisiert zu werden. Vielmehr ist er wegen der Loyalität zu Xi nun zum Premier und zweiten Mann in der chinesischen Polit-Hierarchie avanciert. Als letzte Reifeprüfung für die neue Rolle musste Li ausgerechnet die von Xi verordnete Null-Covid-Politik mit dem zweimonatigen Lockdown der Wirtschaftsmetropole Schanghai durchsetzen.

Was die Fähigkeiten des neuen Premiers angeht, gibt es stark geteilte Meinungen. Die einen kritisieren seine absolute Dienstfertigkeit und können sich nicht vorstellen, dass von ihm nennenswerte wirtschaftspolitische Impulse oder heikle strukturelle Reformen ausgehen werden. Die anderen verweisen darauf, dass Li wegen des Vertrauensverhältnisses zu Xi tatsächlichen großen Einfluss genießt und diesen gerade in den letzten Monaten auf konstruktive Weise einbringen konnte. Zumindest gibt es ernstzunehmende Stimmen, die betonen, dass es Li nach dem Beweis seiner Nibelungentreue mit der Durchsetzung des verheerenden Lockdown in Schanghai, dann in einer Position war, den Präsidenten von der Notwendigkeit einer eiligen Abkehr der ruinösen Corona-Politik zu überzeugen.

Man kann nun davon ausgehen, dass Xi kein Interesse mehr daran hat, seinen Regierungschef schlecht aussehen zu lassen und dem neuen Premier mehr Leine gibt, einen pragmatischen Kurs zu steuern. Mit der Ausschaltung von machtpolitischen Reibereien dürfte Li Qiang wesentlich mehr Freiheiten als sein Vorgänger vorfinden. Gleichzeitiges hat er allerdings ein gewaltiges Defizit in Sachen Regierungserfahrung und Steuerung des gigantischen Behörden- und Verwaltungsapparates.

Der neue Li ist nur auf Provinzebene aktiv gewesen und war so ohne Berührungspunkte zur äußerst komplexen Zentralregierungsverantwortung. Im überaus wirtschaftsstarken Zhejiang und in Schanghai konnte Li etwa als Wegbereiter für das Tesla-Werk in China glänzen. Nun gilt es aber, die Verantwortung für das Dickicht an strukturellen Problemen im Umgang mit wirtschaftsschwachen Regionen und manifesten Verschuldungsproblemen auf Ebene der Lokalregierungen zu übernehmen. Und er muss die gewaltigen Herausforderungen beim unterentwickelten Sozialsystem angehen. Um hier gut auszusehen, reicht es nicht allein, das Vertrauen des obersten Machthabers zu genießen.

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