Hoher Vorschuss für Bjørn Gulden
Die Erwartungen an Bjørn Gulden sind sehr sportlich. Allein die Aussicht, der Norweger könnte Vorstandschef von Adidas werden, und die Ernennung wenige Tage später haben dem schwer angeschlagenen Aktienkurs des Sportartikelkonzerns zu einem fulminanten Comeback verholfen. Anfang dieses Monats sprang der Dax-Wert innerhalb von sechs Handelstagen um 45 % in die Höhe. Bis heute ist ein Kursgewinn von rund einem Drittel geblieben. Gewiss, einen Anteil an der zurückgekehrten Begeisterung für Adidas haben auch die allgemeine Erholung der Aktienbörsen und die Hoffnung auf eine gelockerte Coronapolitik im wichtigen Markt China. Doch die guten Nachrichten führt der Wechsel Guldens an: vom Posten des Puma-Chefs zum größeren Nachbarn und Konkurrenten in Herzogenaurach, der in etwa den dreifachen Jahresumsatz erzielt. Erstaunlich, dass das fast nahtlos möglich ist: Eine Wettbewerbsklausel gab es in Guldens Vertrag mit Puma nicht.
Dem Erwartungsdruck begegnet der Marketingfachmann mit seiner großen Erfahrung in der Konsumgüter-, Mode- und Sportartikelbranche und mit Gelassenheit. Ruhe und Übersicht bewies er als Vorstandsvorsitzender von Puma von 2013 an. Unbeirrt, mit einem klaren Konzept und längerfristigem Planungshorizont sowie mit dem Vertrauen des französischen Luxusgüterkonzerns Kering, der zeitweise Mehrheitsaktionär war, verfolgte der Manager seine Strategie: Er straffte die Angebotspalette, investierte in neue Produkte mit klarem Design und schärfte so das Markenprofil von Puma, das mit der Ausrichtung aufs Sport-Lifestyle-Segment an Kontur verloren hatte. Seit Guldens Arbeitsbeginn hat sich der Umsatz von Puma mehr als verdoppelt. Die operative Marge ging bis 2015 auf 2,8 % zurück, stieg aber danach kontinuierlich mit Ausnahme des Coronajahres 2020 und erreichte in den ersten neun Monaten dieses Jahres 10,9 %.
Auch in der Bilanz von Kasper Rorsted, der im Oktober 2016 Herbert Hainer als Vorstandschef von Adidas abgelöst hatte, stehen Erfolge: Der Umsatz nahm von 2016 bis 2019 um 28 % zu, die operative Marge von 8,6 auf 11,3 %. Doch im Gegensatz zu Puma und Nike erholte sich Adidas bei weitem nicht so gut vom Jahr 2020, als wegen der Pandemie zeitweise mehr als drei Viertel der Sportläden geschlossen waren. In diesem Jahr senkte Rorsted gleich viermal die Geschäftsprognose. Das lag vor allem an China, das für den Umsatz und noch mehr für den Gewinn von Adidas im Vergleich zur Konkurrenz eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung hatte. Zudem blieb die vom Vorstand für den Jahresverlauf erhoffte Erholung aus. Dann verdarb auch noch das eingestellte Geschäft mit dem Rapper und Designer Kanye West die Umsatz- und Ergebnisplanung.
Gulden muss sich mit diesem zweifelhaften Geschäftspartner nicht mehr herumschlagen und kann sich ganz auf die Marke Adidas konzentrieren, nachdem Reebok in den USA die von Rorsted angestrebte Fitness nicht erreicht hat und verkauft worden ist. Eine Bürde sind die hohen Lagerbestände in der gesamten Branche, die sich in diesem Jahr aufgetürmt haben. Nicht nur in China nahmen die Vorräte zu, seit September trifft Adidas auch in Nordamerika und Europa auf eine schwächere Nachfrage. Ein Teil, vor allem Saisonware, wird sich nur mit kräftigen Rabatten verkaufen lassen.
Hinzu kommt eine Belastung aufgrund des starken Dollar, da in dieser Währung die überwiegend in Asien beschafften Schuhe und Sportkleidung bezahlt werden. Und mit voraussichtlich weiter steigenden Preisen für Produkte und höheren Kosten für Transporte und Personal müssen auch die Sportartikelkonzerne klarkommen. In der eigenen Hand hat Gulden, nach Puma der Marke Adidas wieder mehr Ausstrahlung und Attraktivität zu geben. Das gilt vor allem für China, wo Rorsted ein Umsteuern noch eingeleitet hat: Das Design eines Teils der Produkte wird nun in dem Land entworfen, um die Wünsche chinesischer Kunden besser zu erfüllen.
Gulden zeigte mit Puma, dass es für einen wirtschaftlichen Erfolg in der Sportartikelbranche wesentlich ist, Modetrends früh zu erkennen und gefragte Produkte zur richtigen Zeit auf den Markt zu bringen. Nun will er dieses Geschick und diese Flexibilität in der größeren Organisation von Adidas wiederholen. Die Aktionäre brauchen Geduld, bis es messbare Ergebnisse geben könnte. Vertrauen schenken sie Gulden aber schon jetzt in einem sehr großen Maß – als Vorschuss.