Konsumtief belastet Händler
Ein Jahr ist es her, dass sich das Konsumklima in Deutschland von der Corona-Pandemie etwas erholt und auf annähernd neutralem Niveau stabilisiert hat. Für den Einzelhandel schien das Schlimmste überstanden zu sein. Doch als russische Truppen am 24. Februar vorigen Jahres in die Ukraine einmarschierten und die Preise für Energie und Lebensmittel, die bereits in den Monaten zuvor spürbar angezogen hatten, in die Höhe schossen, war es mit der Erholung der Kauflaune und der wachsenden Zuversicht im Handel auch schon wieder vorbei. Der GfK-Konsumklima-Index, der die Konsumneigung der Privathaushalte in Deutschland misst, fiel von minus 6,7 Punkten im Februar auf das Rekordtief von minus 42,8 im Oktober. Seither verbesserte sich das Stimmungsbarometer nur geringfügig. Für Januar 2023 prognostiziert die GfK einen Wert von minus 37,8 Punkten. Von einer Trendwende kann also keine Rede sein.
Wegen der großen Unsicherheit im Hinblick auf den Konjunkturverlauf, die Entwicklung der Preise und ihre persönliche wirtschaftliche Situation geben viele Verbraucher ihr Geld fast nur noch für Güter des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, Pflegeprodukte usw.) oder nichtaufschiebbare Anschaffungen aus, etwa weil etwas abgenutzt oder kaputt gegangen ist (Möbel, Elektrogeräte etc.). Das heißt, der Lebensmitteleinzelhandel muss – wie schon in der Corona-Pandemie – keine Umsatzeinbußen fürchten. Da aber größere Erwerbungen, die nur wegen eines Zusatznutzens (schickeres Design, praktischere Handhabung) getätigt worden wären, häufig verschoben oder gestrichen werden, dürften auf Händler fast aller anderen Konsumgüter spürbare Erlösrückgänge zukommen. Das gilt gleichermaßen für stationäre und Online-Händler.
Selbst Spontankäufe, die wertmäßig nicht über einen Supermarkteinkauf hinausgehen, z. B. ein schickes T-Shirt, und den „kleinen Genuss zwischendurch“, etwa einen Kaffee zum Mitnehmen oder einen Döner an der Imbissbude, wird es angesichts der enormen Preisaufschläge seltener geben. Das ist ein Unterschied im Vergleich zu den vergangenen Coronajahren, in denen die Menschen in ihrer Konsumfreiheit zwar zeitweise eingeschränkt, mittelfristig aber noch zuversichtlich waren und sich deshalb Impulskäufe gönnten. Das gilt nun nicht mehr.
Dabei gibt es hier und da Licht am Ende des Tunnels. So dürfte die in Deutschland zuletzt zweistellige Inflationsrate durch den Basiseffekt sinken, weil z. B. die Preise für Öl und Erdgas im Jahresvergleich nicht mehr deutlich höher, sondern niedriger ausfallen oder schlimmstenfalls auf etwa gleich hohem Niveau bleiben. Allerdings besteht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, wenn die Erhöhung der Nominallöhne – als Ausgleich für die hohen Preissteigerungen im Vorjahr – über den Produktivitätssteigerungen der Unternehmen liegt. Doch ist zweifelhaft, ob steigende Löhne in dieser Gemengelage tatsächlich zu wachsender Nachfrage der privaten Haushalte führen. Wahrscheinlich ist vielmehr eine anziehende Sparrate bei den Verbrauchern, die keine inflationäre Wirkung hätte. Und ob die Unternehmen steigende Produktionskosten aufgrund der Lohnzuwächse mittels Preissteigerungen weitergeben, ist zumindest im Einzelhandel fraglich. Hier haben die Händler, auch im Lebensmittelsegment, schon jetzt vielfach Grenzen überschritten, die die Konsumenten vom Kauf abhalten. Auch der harte Wettbewerb schränkt die Überwälzungsmöglichkeiten ein. Schließlich mutmaßen Ökonomen, dass viele Unternehmen ihre Verkaufspreise 2022 stärker angehoben haben als es wegen der Preissteigerungen für Strom, Erdgas, Benzin oder Vorprodukte tatsächlich notwendig gewesen wäre. Mit einem solchen Puffer ausgestattet wären die Firmen nicht gezwungen, aufgrund von Lohnerhöhungen die Preise anzuheben.
Auch die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes, die mit der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts korreliert, hat großen Einfluss auf den Konsum. Volkswirte gehen von einem leichten Rückgang des BIP in diesem Jahr aus. Bislang zeigt sich der Arbeitsmarkt äußerst robust, doch sollten die Pessimisten recht behalten und das BIP stark zurückgehen bzw. sich die Krise bis 2024 hinziehen, wäre das ein Game Changer. Eine deutliche Zunahme der Erwerbslosen wäre für den privaten Konsum aber verheerend, da nach einer Faustregel auf jeden zusätzlichen Arbeitslosen drei Beschäftigte kommen, die sich dann so verhalten, als wären sie selbst arbeitslos geworden. Das würde wohl zu steigenden Insolvenzzahlen im Einzelhandel führen – es sei denn, die Bundesregierung beschließt weitere Hilfsmaßnahmen für die Branche.