London

Macht mich (bitte nicht) zum Premierminister!

Der britische Fernsehsender Channel 4 hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für seine neue Show „Make Me Prime Minister (Macht mich zum Premierminister)“ aussuchen können. Denn mit Rishi Sunak zieht in diesem Jahr bereits der dritte Regierungschef in 10 Downing Street ein.

Macht mich (bitte nicht) zum Premierminister!

Der britische Fernsehsender Channel 4 hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für seine neue Show „Make Me Prime Minister (Macht mich zum Premierminister)“ aussuchen können. Mit Rishi Sunak zieht in diesem Jahr bereits der dritte Regierungschef in 10 Downing Street ein. Zwölf ambitionierte Kandidaten versuchen derweil alles, um zum „alternativen Premierminister“ gekürt zu werden. Die Übergänge zwischen Fakten und Fiktion verwischen. Kaum vorstellbar, dass Theresa May mit aufstrebenden Firmengründern in „The Apprentice“ um ein Investment von Alan Sugar kämpft oder dass Gordon Brown bei „Strictly Come Dancing“ antritt. Doch Tony Blair und David Cameron gaben sich dafür her, ihre Ansichten darüber, was man mitbringen muss, um Premierminister zu werden, in kurzen Einspielungen in der neuen Show vorzutragen. Der Zuschauer kann schon fast nicht mehr unterscheiden, ob es hier ernsthaft um Politik geht oder nur darum, sich über die Kandidaten lustig zu machen. Zumal fortlaufend der bedauernswerte Zustand der britischen Politik beklagt wird. Bekannte Fernsehjournalisten nehmen die Möchtegernpolitiker in die Mangel, für jede laufende Kamera dankbare Unterhausabgeordnete wie Jess Phillips oder Johnny Mercer schauen ebenfalls vorbei.

„Make Me Prime Minister“ ist technisch perfekt. Alastair Campbell wacht gemeinsam mit der Tory-Baroness Sayeeda Warsi darüber, dass sich alle Beteiligten bei den ihnen gestellten Herkulesaufgaben ausreichend blamieren. Als Spindoktor von Tony Blair hatte Campbell den Briten einst den Einstieg in den Golfkrieg an der Seite Amerikas verkauft. Nun ist dem ehemaligen Wadenbeißer Altersmilde anzumerken. Die Kandidaten müssen keine überteuerten Arancini an satte Sommerfrischler in einem englischen Küstenort verkaufen, die sie zuvor unter zweifelhaften Bedingungen produziert haben. Derartige Herausforderungen bleiben den glücklosen Gründerinnen vorbehalten, die bei Alan Sugar landen wollen. „Make Me Prime Minister“ ist perfider, wenn es um die Möglichkeiten zur Selbstentblößung geht, die den Kandidaten geboten werden.

Da ist die nach eigener Aussage „sehr sozialkonservative“ Londoner Studentin Alice (20), die mit 18 zum Katholizismus konvertierte, Margaret Thatcher großartig fand und sich für den Brexit starkmachte. Ihr steht die Frisöse Caroline (55) gegenüber, die zu den Anhängern der Weltuntergangssekte Extinction Rebellion gehört. Auch der Unternehmer Darius (23), der als Flüchtling aus Afghanistan von Menschenhändlern in einem Kühltransporter nach Großbritannien geschmuggelt worden ist, gehört zu den interessanteren Charakteren. Er kandidierte bei den Kommunalwahlen für die Tories in Hounslow. Führende Tories hätten ihm immer wieder bedeutet, er wäre zu jung für die Politik, erinnert er sich. Das sei nicht ermutigend gewesen. Um die restlichen Bewerber sei der Mantel des Schweigens gehüllt. „Es wäre ziemlich außergewöhnlich, wenn einer oder mehrere von den Leuten, die durch diesen Prozess gehen, anschließend gewählte Politiker würden“, konstatierte Campbell fröhlich.

Zu den Aufgaben, denen sich die Kandidaten stellen müssen, gehören bessere öffentliche Schulen, der Kampf gegen die Fettleibigkeit und die Eindämmung der Kriminalität. Es sind Themen, die seit vielen Jahren für wilde Diskussionen an den Stammtischen sorgen, aber von echten Politikern nicht angefasst werden, weil es keine Lösungen für sie gibt. Zu dumm für die Kandidaten: Viele sind als Vertreter des gesunden Menschenverstands angetreten, um es denen da oben einmal zu zeigen. Doch die Bedeutung schneller Erfolge für den Aufstieg als Politiker ist ihnen nicht klar. Wenn es so etwas wie ein Lernziel für die Zuschauer gegeben hätte, das die Produzenten der Show im Auge gehabt haben könnten, dann dies: Politik ist nichts für gewöhnliche Menschen. Sie sind dafür zu dumm. Politische Entscheidungen sollte man Fachleuten überlassen, die dafür kompetent genug sind. Und wieder verschwimmen die Grenzen von Wirklichkeit und Reality-TV. Schließlich wird den Briten die Führung durch Rishi Sunak und Jeremy Hunt als eine Art Expertenregierung verkauft.

                                           (Börsen-Zeitung,

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