Lebensversicherer

Neue Problemzonen

Die Lebensversicherer kommen nicht zur Ruhe. Die herbeigesehnte Zinswende hat auch ihre Schattenseiten.

Neue Problemzonen

Die deutschen Lebensversicherer können aufatmen. Mit einem Schlag hat sich ihr größtes Sorgenthema der vergangenen Jahre in Luft aufgelöst. Das Zinstief ist passé. Mit steigenden Zinsen klettern auch ihre Solvenzquoten. Die Kapitalanforderungen an die Unternehmen, von denen manche hohe Garantieversprechen aus der Vergangenheit mit sich herumschleppen, sind deutlich gesunken. So erreichen dem Vernehmen nach mittlerweile alle deutschen Lebensversicherer eine ausreichende Solvenzquote von 100% auch ohne Übergangsmaßnahmen.

Die Zinswende sorgt auch dafür, dass die Lebensversicherer nicht weiter in den Multimilliardentopf Zinszusatzreserve (ZZR) hineinbuttern müssen. Die ZZR – einst gebildet, um die Garantieverpflichtungen abzufedern – hat die Ergebnisrechnungen der Lebensversicherer in den vergangenen Jahren teils erheblich belastet. Große Unternehmen mussten dreistellige Millionenbeträge pro Jahr für die ZZR bunkern. Das ist jetzt vorbei. In diesem Jahr werden voraussichtlich die ersten Reserven aus dem auf fast 100 Mrd. Euro angeschwollenen Topf aufgelöst werden können.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In Wirklichkeit kommen die Lebensversicherer nur vom Regen in die Traufe. Die Zinswende, flankiert von hoher Inflation, beschert ihnen eine ganze Reihe neuer Probleme. Die Branche wird auch in naher Zukunft nicht zur Ruhe kommen, auch wenn Negativzinsen und Minirenditen kein Thema mehr sind.

Da sind zunächst einmal die tiefen Einschnitte in den Kapitalanlagen. Als besonders gebeutelt präsentieren sich dabei die Anleihenportfolien. Die abrupte Zinswende hat dazu geführt, dass die gewaltigen Bewertungsreserven bei Bonds sich ins Gegenteil verkehrt haben. Die Lebensversicherer haben in den vergangenen Jahren viele langlaufende Papiere mit eher mickrigen Kupons gekauft, die nun unter Wasser sind. Die Ratingagentur Assekurata schätzt, dass in der Branche aus 150 Mrd. Euro Bewertungsreserven Ende 2021 jetzt stille Lasten von 50 Mrd. Euro geworden sind. Das ist zunächst kein Problem, wenn diese mit Hilfe des Paragrafen 341b HGB als temporär eingestuft werden, weil die Unternehmen die Papiere bis zur Endfälligkeit halten wollen. Doch sollten die Wirtschaftsprüfer zum Beispiel bei besonders langlaufenden Bonds das nicht akzeptieren, droht Abschreibungsbedarf. Das würde sich dann auf die Ergebnisse niederschlagen.

Auch die Inflation hilft den Lebensversicherern nicht. Im Gegenteil: Die allgemeinen Preissteigerungen dürften Gift für das Neugeschäft sein. Wenn die Menschen erstmal ihre Gas- und Stromrechnungen sowie die teureren Lebensmittel bezahlen müssen, bleibt bei vielen für die Altersvorsorge kein Geld mehr übrig. Oder die Unsicherheit, wie hoch die Energierechnungen am Ende ausfallen und wie lange diese Ausnahmesituation anhält, lässt sie zögern, die Unterschrift unter einen Rentenversicherungsvertrag zu setzen. Auch dürfte die Aussicht, Mittel zurückzulegen, deren Kaufkraft in einem viel stärkeren Ausmaß als früher von der Inflation aufgefressen wird, nicht gerade verlockend sein.

Aus der Branche ist zu hören, dass der Vertrieb jetzt lahmt, nachdem die ersten Monate nach der russischen Invasion in der Ukraine noch ganz ordentlich liefen. Abzuwarten bleibt, wie sich das Einmalbeitragsgeschäft der Branche entwickelt. Es spielt eine wichtige Rolle für die Wachstumszahlen der Branche, entfielen doch gut ein Drittel der gesamten Beitragseinnahmen von knapp 100 Mrd. Euro im Markt auf diese Kategorie. Einen Einfluss darauf wird haben, wie sich die Banken positionieren und wie viel Geschäft nach der Phase mit Negativzinsen wieder dorthin wandert.

Mit der veränderten Priorisierung der Verbraucherinnen und Verbraucher zieht ein weiteres Problem für die Lebensversicherer am Horizont auf. Auch bereits bestehende Altersvorsorgeverträge könnten auf den Prüfstand gestellt werden, wenn das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht. Vor steigenden Stornorisiken warnt bereits die BaFin und will die Entwicklung intensiv beobachten. Die Lebensversicherer werden ein besonderes Auge auf ihr Liquiditätsmanagement haben müssen.

Die Wachstumsprognose des Branchenverbands GDV für die Lebensversicherer zur Jahresmitte wirkt deshalb ziemlich optimistisch. Das Beitragsplus von 0,6 % dürfte nur schwer zu erreichen sein. Ein Schrumpfen des Marktes im zweiten Jahr in Folge scheint eher wahrscheinlich.

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