Schiedsverfahren vor Bewährungsprobe
Von Annette Becker, Köln
Es ist beileibe nicht das erste Schiedsverfahren, das Uniper bzw. ihre Vorgängergesellschaft Ruhrgas oder auch RWE gegen die russische Gazprom zu führen gedenken – nur diesmal geht es um weit mehr als den Disput über Preisanpassungsklauseln. Vielmehr wollen die deutschen Gasimporteure den ihnen aus der Gasersatzbeschaffung entstandenen Schaden von ihrem langjährigen Geschäftspartner zurückfordern. Nach Ansicht von Uniper ist Gazprom den Lieferverpflichtungen nicht nachkommgekommen und damit vertragsbrüchig geworden. Es geht um einen milliardenschweren Schaden. Auch VNG und die inzwischen verstaatlichte Sefe, die frühere Gazprom Germania, prüfen nach einem Bericht des Handelsblatt Optionen zur Schadensbegrenzung.
Bis vergangene Woche ist Uniper aus der Ersatzbeschaffung ein Verlust von 11,6 Mrd. Euro entstanden, bis Ende 2024 wird der Schaden auf 30 Mrd. Euro taxiert. Wie hoch die eingeklagte Summe liegt, gibt Uniper nicht preis. Dass ein zweistelliger Milliardenbetrag in Anrechnung gebracht wird, ist jedoch unstrittig. RWE äußert sich dagegen nicht zur Höhe des entstandenen Schadens, er dürfte aber weitaus niedriger liegen.
Allerdings steht in den Sternen, ob die Konzerne je einen Cent Schadenersatz zu sehen bekommen. Nach Einschätzung von Anke Meier, Partnerin der Kanzlei Noerr und Leiterin der Praxisgruppe Schiedsverfahren, muss Uniper den beschwerlichen Weg jedoch einschlagen: „Es ist keine Option, es nicht zu versuchen.“ Auch Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach gab sich zuletzt kämpferisch: „Wir verfolgen diese Verfahren mit aller gebotenen Härte: Das sind wir unseren Aktionären, unseren Mitarbeitern und den Steuerzahlern schuldig.“
Private Schiedsverfahren sind der übliche Weg, um Streitigkeiten zwischen Unternehmen aus verschiedenen Jurisdiktionen beizulegen. Üblicherweise legen die Unternehmen schon beim Vertragsabschluss den Gerichtsstand fest, ebenso nach welchem Recht das Schiedsverfahren ausgetragen wird – im Fall von Uniper ist der Gerichtsstand Stockholm, verhandelt wird nach Schweizer Recht. Aufgrund seiner Blockfreiheit war Schweden in Ost-West-Streitigkeiten für Schiedsverfahren zumindest in der Vergangenheit das bevorzugte Land zur Streitbeilegung.
Kein Urteil zweiter Klasse
In internationalen Vertragsbeziehungen hat verständlicherweise keine Vertragspartei den Wunsch, vor ein staatliches Gericht des Vertragspartners gezogen zu werden. Gegenüber Verfahren vor staatlichen Gerichten bieten Schiedsgerichte darüber hinaus den Vorteil, dass mit der Materie erfahrene Schiedsrichter benannt werden können, handelt es sich doch häufig um komplexe Sachverhalte, die eng mit wirtschaftlichen Fragestellungen verbunden sind.
Zu glauben, Schiedssprüche seien Urteile zweiter Klasse, ist jedoch ein Trugschluss. Vor allem in westlichen Ländern sind Schiedsverfahren ein anerkannter Verfahrensweg. „Schiedssprüche sind mit Urteilen staatlicher Gerichte gleichzusetzen und können vollstreckt werden“, sagt Meier und verweist darauf, dass dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche mehr als 150 Staaten beigetreten sind.
In einem Schiedsverfahren darf jede Partei einen Schiedsrichter benennen. Im Anschluss verständigen sich die Richter auf einen dritten Unparteiischen, der dem Schiedsgericht vorsitzt. Doch selbst wenn sich Gazprom der Mitwirkung verweigerte, kann das Schiedsgericht von einer neutralen Instanz ins Leben gerufen werden. Als neutrale Instanz kommt beispielsweise das Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce in Frage, das sich in internationalen Schiedsverfahren engagiert. „In jedem Fall muss Chancengleichheit sichergestellt sein“, sagt Meier und warnt: „Für die Schiedsgerichtsbarkeit wäre es ein Desaster, wenn sich die Schiedsrichter angreifbar machten.“
Ordnungsgemäße Zustellung
Im ersten Schritt sei entscheidend, dass die verfahrenseinleitenden Schriftstücke ordnungsgemäß zugestellt werden. „Das könnte sich als hohe praktische Hürde erweisen“, schätzt die Anwältin. Dennoch wäre Gazprom nach Meiers Einschätzung gut beraten, das sich anbahnende Verfahren nicht zu ignorieren: „Die Unternehmen sind durch die Schiedsvereinbarung vertraglich zur Teilnahme an entsprechenden Schiedsverfahren verpflichtet. Wenn eine Seite nicht teilnimmt, kann sie sich nicht beschweren, sie habe kein rechtliches Gehör erhalten.“
Der Vorteil von Schiedsverfahren ist auch, dass es keinen Weg durch die Instanzen gibt. Zwar kann ein ergangener Schiedsspruch angefochten werden, erlaubt sind dabei jedoch nur wenige fundamentale Gründe wie beispielsweise die Befangenheit der Richter. Schwieriger ist es jedoch, einen zugunsten von Uniper ergangenen Schiedsspruch auch durchzusetzen. „Die Vollstreckung ist eine sehr hohe Hürde, ist doch davon auszugehen, dass Russland eine Zwangsvollstreckung verhindern würde“, glaubt Meier.
Wenngleich das Schiedsverfahren von Uniper schon allein aufgrund der aufgerufenen Schadensumme eines der spektakulärsten Verfahren werden dürfte, scheinen weitere juristische Auseinandersetzungen als Folge des Ukraine-Kriegs programmiert – sei es zwischen deutschen Unternehmen und ihren russischen Geschäftspartnern oder zwischen deutschen Unternehmen und Geschäftspartnern, von denen Produkte für den russischen Markt bezogen werden. „Wir habe eine neue Sachlage, die viele Fragen aufwirft“, sagt Meier und verweist in diesem Zusammenhang auf die Sanktionen, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich beurteilt werden. Entscheidend ist also auch, welchem Recht die Schiedsverfahren unterworfen sind.