Scholz in Brüssel im Verteidigungsmodus
ahe/wf Brüssel/Berlin
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel haben zahlreiche Staats- und Regierungschefs offen Kritik am deutschen Handeln in der Energiekrise geübt. Er glaube, es sei nicht gut – weder für Deutschland noch für Europa –, dass sich Deutschland isoliere, sagte etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor Beginn des zweitägigen Treffens. In der aktuellen Situation gelte es, Einigkeit zu bewahren. Macron traf sich unmittelbar vor dem Gipfel zum Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ein weiteres bilaterales Gespräch könnte nächsten Mittwoch in Paris stattfinden.
In der Kritik in Brüssel stand erneut der 200-Mrd.-Euro-Schutzschirm, auf den sich die Ampel-Koalition geeinigt hatte, aber ebenso die ablehnende Haltung Berlins gegenüber einem Gaspreisdeckel und einem weiteren schuldenfinanzierten Hilfsfonds auf EU-Ebene.
„Wir müssen einen Weg finden, um die – sagen wir mal – fast schon protektionistischen Tendenzen in Krisenzeiten zu überwinden und zusammenzuarbeiten“, sagte der lettische Premierminister Krisjanis Karins in Brüssel. Und Litauens Präsident Gitanas Nauseda ergänzte, er hoffe noch, „dass es bei unseren Kollegen noch einen kleinen Sinneswandel“ gebe. Um den fairen Wettbewerb innerhalb der EU nicht zu gefährden, brauche es europäische Maßnahmen. Dabei gehe es auch um die Solidarität, über die man so oft rede. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki kritisierte in Brüssel erneut das „Fiasko“ der deutschen Energiepolitik, speziell in Bezug auf Russland: „Dieses theoretisch billige russische Gas für die deutsche Wirtschaft sollte ein Segen für sie sein, aber es ist zum Fluch für ganz Europa geworden.“ Alle Länder könnten dies sehen.
Eine Frage der Solidarität
Scholz versuchte die deutschen Haltungen in der Energiepolitik im Vorfeld des Gipfels in Brüssel, zuvor aber auch in Berlin in einer Regierungserklärung noch einmal zu erläutern. „Es ist ganz klar, dass Deutschland sehr solidarisch gehandelt hat“, sagte der SPD-Politiker zum Auftakt des Gipfels. Deutschland unterstütze seine Bürger und seine Wirtschaft wie andere Länder auch. Es sei umgerechnet „genau das Gleiche, was Frankreich macht, was Italien macht, was Spanien macht und viele andere Länder“. Der Schutzschirm sei auf zweieinhalb Jahre angelegt und entspreche auf diesen Zeitraum gerechnet rund 2% des Bruttoinlandsproduktes.
Zum Gaspreisdeckel, der von mehr als der Hälfte der EU-Staaten gefordert wird, sagte Scholz im Bundestag, ein solcher berge immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen – „und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger“. Auf dem Gipfel soll auch ein Preisdeckel speziell in der Stromproduktion diskutiert werden.
Scholz lehnte in seiner Regierungserklärung erneut Verhandlungen über neue EU-Finanztöpfe ab, über die die Folgen der Energiekrise und der hohen Preise abgefedert werden könnten. Die EU verfüge über genügend finanzielle Durchschlagskraft, um sich dieser Krise entgegenzustellen, betonte der Kanzler. Aus dem Corona-Wiederaufbaufonds sei bislang erst ein Fünftel ausbezahlt worden. Hier stünden noch über 600 Mrd. Euro zur Verfügung – unter anderem zum Ausbau erneuerbarer Energien.