Hendrik Brandis, Earlybird

„Substanzielle Erholung gegen Ende 2024“

Der Wagniskapitalgeber Earlybird floriert trotz der Zinswende 2022. Nach dem Markteinbruch erwartet Partner Hendrik Brandis eine substanzielle Erholung gegen Ende 2024. Er sieht eine tektonische Verschiebung in der Verteilung von Innovationen.

„Substanzielle Erholung gegen Ende 2024“

mic München

„Das Jahr ist für uns sehr zufriedenstellend gelaufen“, sagt Hendrik Brandis, Mitgründer und Partner von Earlybird, im Ge­spräch mit der Börsen-Zeitung. Dies gilt aus seiner Sicht sowohl für die Investments als auch das Einsammeln von Mitteln. „Das Fundraising stieg auf Rekordniveau“, erklärt er. Earlybird habe rund 340 Mill. Euro erhalten. Dahinter stünden teilweise auch Entscheidungen, die die Anleger schon im Jahr 2021 getroffen hätten.

Mit hohem Tempo ist der Venture-Capital-Geber aus München nach eigener Einschätzung auch beim Anlegen der Gelder unterwegs. „Wir haben in kaum geminderter Form weiter investiert. In Summe blicken wir auf 82 Investitionen 2022 zurück und freuen uns über drei neue Unicorns in unserem Portfolio“, sagt Brandis. Zugleich gelte: „Die Bewertungen, zu denen wir investieren, sind deutlich zurückgegangen.“

Dementsprechend sei die Wertentwicklung des Portfolios nicht in gleicher Dynamik weitergegangen wie in den fünf Jahren zuvor, erklärt Brandis. Die Wertzuwächse seien mo­derat geblieben, in der Summe jedoch unverändert positiv. Auf der Exit-Seite halte Earlybird sich vorerst zurück, macht Brandis klar: „Dafür ist ein günstiges Zinsumfeld entscheidend.“

Brandis bekräftigt seine bereits bei früheren Gelegenheiten formulierte These, dass es nach einem Markteinbruch wie im Jahr 2021/2022 meist rund drei Jahre dauere, bis die alten Bewertungen erreicht würden. „Wir sprechen also von einer substanziellen Erholung gegen Ende 2024“, sagt Brandis. Das Jahr 2023 könnte für die Branche bereits stabil oder leicht positiv verlaufen. Entscheidend seien die Zinsen, denn sie definierten die Bewertungen auf der Exit-Seite insbesondere bei Tech-Investments: „Wenn die Zinsen anfangen zu sinken, dann bedeutet das auch für uns Wagniskapitalgeber eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.“

Corporates zurückhaltend

Earlybird zählt ein verwaltetes Gesamtvermögen von rund 2 Mrd. Euro. Der 1997 gegründete Venture-Capital-Geber hat gut 80 Beschäftigte, die Einzelinvestments betragen zwischen 0,5 und 10 Mill. Euro. Man investiere aktuell aus offenen Fonds im Volumen von mehr als 1 Mrd. Euro, sagt Brandis. Davon seien 800 Mill. Euro dem Segment Early Stage zuzurechnen: „Damit sind wir der wahrscheinlich größte Early-Stage-Investor in Europa.“

Aus Investorensicht ist Brandis zufolge nun der richtige Zeitpunkt, in den Markt einzusteigen. „Die Krisenjahre haben historisch gesehen massiv die Jahre vor den Krisen outperformt“, lautet seine Formel. Dies zeige beispielsweise die Wertentwicklung rund um die Finanzkrise. So hätten die weltweiten VC-Investments der Jahrgänge 2005 bis 2007 eine kumulierte Rendite von 77% gebracht (sechs Jahre nach der jeweiligen Auflegung der Fonds), die Fonds der Krisenjahre 2008 bis 2010 dagegen seien um 187% gestiegen: „Dies macht mich für die aktuellen Investitionsjahrgänge außerordentlich optimistisch.“ Trotzdem hinterlasse die aktuelle Krise ihre Spuren. Beispielsweise habe Earlybird in den letzten Jahren großes Interesse von Corporates verzeichnet, sagt Brandis: „Dieses Interesse geht eher zurück.“ Die Großkonzerne setzten in der Krise andere Prioritäten.

Die VC-Branche musste im abgelaufenen Jahr deutliche Einbußen verkraften. „Das Investitionsvolumen in Deutschland geht überproportional zurück“, stellt Brandis fest. Es sei von 18,8 Mrd. im Jahr 2021 auf rund 11 Mrd. Euro gesunken. Gleichzeitig habe sich das Volumen in Europa nur von 100 Mrd. Euro auf 85 Mrd. Euro verringert: „Gerade in Deutschland ist viel Zurückhaltung in der Industrie zu spüren.“

Brandis erklärt das vergleichsweise robuste Abschneiden Europas allerdings auch mit der Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die heimische VC-Industrie zu fördern. In der Folge habe Deutschland seinen zweiten Platz in Europa hinter Großbritannien an seinen westlichen Nachbarn verloren, der die VC-Investitionen erhöht habe. Das Investitionsvolumen sei auf dem Alten Kontinent trotz der Krise noch unfassbar hoch. Schließlich habe man viele Jahre lang in Europa nur Investitionen zwischen 5 und 10 Mrd. Euro gehabt, davon 1 bis 2 Mrd. Euro in Deutschland.

Vom Hub aufs Land

Earlybird sieht sich in diesem vergrößerten Markt mit neuen Anforderungen konfrontiert, um den Dealflow zu sichern. „Es gibt eine tektonische Verschiebung in der regionalen Verteilung von Innovationen und damit auch von Investments“, konstatiert Brandis. Bisher habe sich die technologische Entwicklung auf Hubs konzentriert. In den USA sei dies das Silicon Valley gewesen. In Europa ständen London, Paris, Berlin, Stockholm, Barcelona und vielleicht noch München für diese Standort-Schwergewichte. Damit sei es vorbei, ist Brandis überzeugt: „Die Innovation verschiebt sich von den Hubs in die Fläche.“

Der Innovationstreiber sei immer der intelligente Mensch, der versuche, seine Ideen zu kommerzialisieren, begründet Brandis seine Einschätzung. Aber: „85% der geeigneten Menschen sind nicht in den Hubs.“ Bisher seien die smarten Köpfe von jenen Ökosystemen abgeschnitten gewesen, die für eine aggressive Kommerzialisierung einer Innovation notwendig seien: Business Angels, Anwälte, Venture Capitalists oder Peers. Mittlerweile seien diese Ökosysteme virtualisiert. In der Folge wüchsen die Regionen schneller als die Hubs. Beispielsweise hätten sich die VC-Investitionen in der Region Miami in den vergangenen zehn Jahren verzweiundzwanzigfacht. Im Silicon Valley habe sich das Volumen dagegen nur vervierfacht.

Die neue Struktur lässt sich im Earlybird-Portfolio nachvollziehen. Im Jahr 2011 habe der Wagniskapitalgeber gut 80% der Investitionen an jenen fünf bis sechs Standorten getätigt, berichtet Brandis. Zehn Jahre später sei der Anteil auf 47% gefallen. Möglicherweise betrage er mittelfristig nur noch 20%. „Das stellt uns als Investoren vor neue Herausforderungen“, stellt Brandis fest. Es werde sich in der Industrie viel ändern, so seine Prophezeiung. Es werde jene hochspülen, die mit dieser Veränderung umgehen könnten. „Es ist nicht trivial, einen Dealflow aus den ländlichen Regionen zu erzielen.“

Welchen Ansatz verfolgt Earlybird? Es gebe nicht die eine Lösung, betont Brandis – und nennt drei Konzepte der Münchner. Erstens durchsuche Earlybird gemeinsam mit Universitäten jede Nacht 200 Datenbanken, um Muster zu erkennen, die auf bestimmte Innovationen hinwiesen. Darunter seien alle Patent- und Handelsregister. Dies habe dazu geführt, dass Earlybird mittlerweile jährlich 50000 Investment-Opportunitäten analysiere, davon 75% auf eigene Initiative. Vor wenigen Jahren seien es noch 8000 gewesen mit einem Outbound-Anteil von damals nur 10%.

Migranten im Fokus

Zweitens habe Earlybird in der zweiten Hälfte 2021 den Earlybird X-Fonds mit einem Volumen von 75 Mill. Euro aufgelegt, der mit 45 Professoren an Technischen Universitäten Europas kooperiere. Wenn Earlybird aufgrund der Experten-Hinweise in die Idee dortiger Studenten investiere, dann erhalte deren Professor eine Beteiligung: „Das funktioniert echt gut.“ Bisher habe Earlybird neun solcher Investments getätigt. Es sei mit Eleqtron auch ein Quantencomputer-Hardware-Entwickler aus der Universität Siegen dabei, der sensationell erfolgreich sei und mittlerweile Geld aus den Hauptfonds erhalte: „Die hätten wir ohne Earlybird X im Leben nicht gefunden.“

Earlybird versucht – drittens – mit seinem „Vision Lab“ gezielt Gründer mit Einwanderungsgeschichte anzusprechen. „Die Unternehmerdichte ist unter Menschen mit Migrationsgeschichte viel höher als bei Einheimischen“, erklärt Brandis. Im Silicon Valley beispielsweise sei die Hälfte aller Unternehmen von Fachleuten mit Migrationshintergrund gegründet worden.

Das Earlybird-Programm bietet Bewerbern eine Zahlung von 25 000 Euro, zudem wird der Interessent sechs Monate lang mit Partnern wie beispielsweise Unternehmensberatern zusammengebracht: „Wir geben den Teilnehmenden das Netzwerk, zu dem ihnen häufig der Zugang fehlt“, erklärt Brandis. Damit kriege Earlybird Zugang zu einem Dealflow, der dem Wagniskapitalgeber sonst verborgen bliebe.

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