Virgin Orbit hebt aus Cornwall ab
Von Andreas Hippin, London
Am Montagabend wird, wenn es die Wetterbedingungen erlauben, der erste Satellitenstart von britischem Boden stattfinden. Virgin Orbit will vom Flughafen Newquay in Cornwall aus neun kleine Satelliten in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern. Zahlreiche Zuschauer werden erwartet. Ursprünglich sollte es schon im Juni vergangenen Jahres soweit sein – zu den Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum von Königin Elizabeth II. Doch obwohl der verschlafene Regionalflughafen zum Weltraumbahnhof (Spaceport Cornwall) ernannt wurde, ging es nicht eben fahrplanmäßig zu. Weitere Starttermine platzten. Aber das ist in der Branche ja fast schon üblich. Im Oktober brachte das zur Virgin-Gruppe des britischen Milliardärs Richard Branson gehörende Raumfahrtunternehmen eine modifizierte Boeing 747 seiner Fluggesellschaft Virgin Atlantic namens „Cosmic Girl“ und die Rakete „Launcher One“ für die Mission „Start Me Up“ nach Newquay. Die Maschine wird die Rakete in 10 500 Metern Höhe über dem Atlantik freisetzen. Von dort wird sie ihren Antrieb zünden und mehrere kleine Satelliten in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen. Man spricht deshalb auch von einem horizontalen Start.
Black Arrow
Die britische Regierung setzt auf die Entwicklung der kommerziellen Raumfahrt. Spaceport Cornwall ist der erste von sieben Weltraumbahnhöfen. Der erste vertikale Start ins All soll in diesem Jahr vom Saxavord Spaceport auf der Shetland-Insel Unst erfolgen. Vier weitere Standorte befinden sich in Schottland, einer davon auf den äußeren Hebriden. Zwei schottische Unternehmen, Orbex und Skyrora, stellen eigene Raketen her. In den 1960er-Jahren hatte das Vereinigte Königreich die dreistufige Trägerrakete Black Arrow entwickelt. 1971 schoss es damit aus Australien den Satelliten Prospero ins All. „Launcher One“ wurde im kalifornischen Long Beach hergestellt. Tatsächlich erwartet man bei der UK Space Agency nicht, es bei der Raketenproduktion mit den USA aufnehmen zu können.
Bei Satelliten hofft man allerdings, Ende des Jahrzehnts der stärkste Anbieter in Europa zu sein. Ein Satellit der RHEA Group, der von Virgin Orbit ins All gebracht werden soll, wurde von Open Cosmos in Oxfordshire gebaut. Großbritannien ist zwar aus der EU, nicht aber aus der European Space Agency (ESA) ausgetreten. Rund drei Viertel des Budgets der UK Space Agency gehen an die ESA. Die Weltraumbranche beschäftigt in Großbritannien gut 47 000 Mitarbeiter.
Inmarsat, Oneweb und Elon Musks Space X haben bereits zahllose Kleinsatelliten ins All geschossen. Treiber der Entwicklung ist die Idee einer weltumspannenden Internetversorgung aus dem All. In stark frequentierten Luftkorridoren und Schifffahrtswegen dürfte die zusätzliche Bandbreite, die Megakonstellationen von Kleinsatelliten bieten können, stark nachgefragt werden. Bis 2030 werden voraussichtlich tausende Satelliten jährlich in niedrige Umlaufbahnen befördert, ist dem Space Sustainability Report von Inmarsat aus dem vergangenen Jahr zu entnehmen. Rund 100 000 seien bereits im Rahmen von laufenden Projekten geplant. Es gebe Anlass zur Sorge um die mittel- bis langfristige Nutzbarkeit solcher Umlaufbahnen, heißt es in dem Bericht. Die „Space Community“ sei kein guter Hüter des Weltraums, in dem sie tätig ist. Das Kessler-Syndrom, die kaskadierende Zunahme von kleinen Weltraummüll-Objekten durch zufällige Kollisionen, werde mit jeder weiteren Ladung Satelliten, die in niedrige Umlaufbahnen gebracht werden, wahrscheinlicher.
Branson hatte Virgin Orbit Ende 2021 mit Hilfe des Investmentvehikels (Spac) Next Gen Acquisition Corp. an die US-Wachstumsbörse Nasdaq gebracht. Die Gesellschaft wurde 2017 gegründet, um das Satellitengeschäft von den Weltraumtourismus-Aktivitäten von Virgin Galactic zu trennen.