Arbeitszeit

Weniger ist mehr

Die Beschäftigten in Deutschland wollen einem neuen Bericht zufolge weniger arbeiten. Die Wirtschaft will die Wochenarbeitszeit angesichts des Fachkräftemangels verlängern, doch das könnte zu einem Eigentor werden.

Weniger ist mehr

Die Beschäftigten in Deutschland wollen weniger arbeiten. Der Arbeitszeitbericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) kommt nach einer Befragung von 20000 Erwerbstätigen zu diesem sehr deutlichen Ergebnis: Mehr als die Hälfte (53%) würde ihre Arbeitszeit gerne verkürzen. Etwa die Hälfte möchte an weniger als fünf Tagen in der Woche arbeiten. Die Gründe dafür liegen laut BAuA nahe: Kürzere Arbeitszeiten wirken sich nicht nur positiv auf die Work-Life-Balance aus, sondern auch auf die Gesundheit. Erwerbstätige, die weniger arbeiten und mehr Freizeit haben, sind häufig gesünder.

Der Arbeitszeitbericht dürfte in der Wirtschaft auf Aufmerksamkeit stoßen. Hier müht man sich seit Monaten – wie zuletzt etwa beim Maschinenbauerverband VDMA –, eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu enttabuisieren. Angesichts des gravierenden Personalmangels in vielen Branchen müsse zunächst das Potenzial im Inland gehoben werden. Dazu gehöre auch, dass man über eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit spreche, sagte VDMA-Chef Thilo Brodtmann.

Dagegen spricht jedoch neben der physischen und psychischen Gesundheit der Erwerbstätigen – die eigentlich Grund genug gegen eine Verlängerung sein sollte – auch ein ökonomisches Argument. Der britische Ökonom John Maynard Keynes rechnete schon 1930 aus, dass wir im Jahr 2030 nur 15 Stunden pro Wochen arbeiten müssten, um unseren Lebensstandard zu halten. Bekanntermaßen ist es anders gekommen.

Dabei haben mehrere Studien wie etwa das vielzitierte Vier-Tage-Pilotprojekt in Island, aber insbesondere auch die nackten Daten gezeigt: Wer länger arbeitet, schafft nicht unbedingt mehr Wert. Dazu genügt ein Blick in die Datenreihe des europäischen Statistikamts. Dort wird schnell klar: Nicht die Länder, in denen pro Woche am längsten gearbeitet wird, sind am produktivsten.

Im Gegenteil: Die Wochenarbeitszeit in Deutschland liegt mit 34,7 Stunden (2021) unter dem EU-Durchschnitt – nur drei Länder weisen eine noch geringere Wochenarbeitszeit auf. Bei der Produktivität liegt Deutschland hingegen auf dem vierten Platz. Zudem hat die Produktivität – im Grunde genommen also das Wirtschaftswachstum pro Arbeitnehmer – seit 1991 zugenommen, obwohl die Arbeitszeit pro Woche seitdem um 3,7 Stunden gesunken ist. Die Forderung nach einer längeren Wochenarbeitszeit dürfte daher nicht nur auf Widerstand aus der Erwerbstätigenbevölkerung stoßen, sie könnte auch zu einem Eigentor werden: Wer länger arbeitet, ist unproduktiver. VDMA und Co täten gut daran, zu verstehen: Weniger ist mehr.

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