Ampel öffnet Finanzquellen
Von Angela Wefers, Berlin
Bereits während der laufenden Koalitionsverhandlungen wurde gerätselt, welche Wege die rot-grün-gelbe Koalition in der Finanzpolitik gehen will. Getragen vom Willen, deutlich mehr auszugeben, als in der Kasse ist, hat die Ampel Finanzoptionen ohne Reform der Schuldenbremse gesucht und gefunden. Im Koalitionsvertrag halten sich die drei Parteien mit konkreten Zahlen zurück – anders als die bisherige schwarz-rote Regierung. Diese hatte vor knapp vier Jahren einen detaillierten Finanzierungsplan für alle Ausgabenwünsche vorgelegt. Zugleich hatte sie festgelegt, wie bei finanziellen Spielräumen zu verfahren ist.
Die Überarbeitung des Haushaltsentwurfs für 2022 wird die erste große Aufgabe des neuen Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) sein. Dass die Schuldenbremse mit einer geplanten Nettokreditaufnahme von fast 100 Mrd. Euro erneut ausgesetzt wird, war schon bislang vorgesehen. 2023 soll sie wieder greifen. Mit einem Nachtragshaushalt will die Ampel nicht benötigte, aber vom Bundestag gebilligte Kredite aus 2021 für sich retten und die Mittel im Klima- und Transformationsfonds bunkern. Per Ende Oktober lag die Nettokreditaufnahme des Bundes bei knapp 140 Mrd. Euro. Veranschlagt sind für 2021 rund 240 Mrd. Euro.
Überbordende Schulden über das Limit der Bremse hinaus müssen laut Grundgesetz getilgt werden. Auch hier verschafft sich die Koalition Luft. Die Tilgung der Coronaschulden setzt 2023 ein, wird aber erst 2026 richtig spürbar für den Bund. Die Koalition kündigt an, die Tilgungspläne der drei Ausnahmejahre 2020 bis 2022 zu bündeln und die bisher auf 20 Jahre angelegte Tilgungsperiode zu strecken. Maßstab soll die EU-Frist für das Programm „Next Generation“ sein. Diese Tilgung läuft bis 2058. Dadurch kann der Bund seine jährliche Belastung senken. Innerhalb der Schuldenbremse soll das Verfahren der Konjunkturbereinigung evaluiert werden. Nach Angaben des Forschungsinstituts IW Köln erhöht dies den Verschuldungsspielraum nur geringfügig.
Laufzeiten verlängern
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister plädiert in einem frisch veröffentlichten Gutachten zum Schuldenmanagement des Bundes dafür, die Agio-Einnahmen des Bundes aus der negativen Rendite bei der Emission seiner Anleihen anders zu verbuchen – und zwar so, dass der Ausgabenspielraum kleiner wird. Zudem empfehlen die Wissenschaftler längere Laufzeiten der Staatspapiere. Die Streckung würde das Risiko zu hoher fiskalischer Zusatzbelastungen in den Folgejahren mildern, wenn die Zinsen unerwartet steigen. Hintergrund der Überlegung ist, dass die in der Coronakrise neu aufgenommenen Kredite zumeist kurzfristig finanziert sind. Zudem liegt der Bund bei der Laufzeit seiner Staatsschuld deutlich unter dem Durchschnitt der in der OECD organisierten Industrieländer (siehe Grafik). Anders als vor zehn oder 20 Jahren könne die Regierung ohne Zinskosten bzw. ohne nennenswerte Zinsdifferenz im aktuellen Marktumfeld die Planungssicherheit und fiskalische Stabilität für nachfolgende Regierungen steigern, schreiben die Wissenschaftler.
Das Marktumfeld negativer Anleihezinsen für den Bund vermittelt aus Sicht des Beirats den fälschlichen Eindruck von Ausgabenspielraum. Allein 2020 hat der Bund 20 Mrd. Euro aus Agio eingenommen; 2019 waren es 5,7 Mrd. Euro. Die nicht periodengerechte Abbildung führe zu Planungsproblemen, schreibt der Beirat. Er plädiert für eine periodengerechnete Zuordnung der Agien/Disagien, also eine Anpassung der Buchungsregeln. Alternativ könnten Agio-Einnahmen oder Disagio-Ausgaben auf die Höhe der Ermächtigung für die Kreditaufnahme angerechnet werden. Bei unerwartet hohem Agio würden entsprechend weniger Kredite aufgenommen.