Analysten und Unternehmer in Sorge
rec Frankfurt
Der Rausschmiss des Notenbankchefs in der Türkei hat unter Analysten wie Anlegern ein verheerendes Echo ausgelöst und besorgt auch deutsche Unternehmen. Marktbeobachter machen sich auf eine länger andauernde Währungsmisere gefasst. Anders als 2018, als die Lirakrise auf andere Schwellenländer übergriff, gilt die von der Türkei ausgehende Ansteckungsgefahr diesmal als gering.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte über das Wochenende den Chef der Zentralbank, Naci Agbal, ohne Angabe von Gründen per Dekret entlassen und durch Sahap Kavcioglu ersetzt. Der ehemalige Parlamentsabgeordnete von Erdogans Regierungspartei AKP und Professor für Bankwirtschaftslehre ist der vierte Notenbankchef binnen zwei Jahren. Agbal hatte dreimal den Leitzins erhöht, zuletzt vorigen Donnerstag auf 19%, um die Inflation von mehr als 15% zu bekämpfen.
Erdogan gilt als Verfechter niedriger Zinsen. Trotzdem überraschte sein Schritt Anleger und Analysten, nachdem Erdogan mit der Ernennung von Agbal vor knapp fünf Monaten von seinem Zinssenkungsdiktat abgerückt zu sein schien und angekündigt hatte, auch „bittere Medizin“ gegen Inflation und Währungsverfall schlucken zu wollen. Nun rechnen Beobachter mit baldigen Zinssenkungen. Der nächste reguläre Zinsentscheid in der Türkei ist für den 15. April terminiert.
Die Ereignisse vom Wochenende, die am Montag zu zweistelligen Verlusten für die Lira führten, interpretieren sie als neuerliche 180-Grad-Wende für die Notenbank. Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft reagierten verunsichert, was die Dimension der neuerlichen Turbulenzen verdeutlicht. „Politisch motivierte Eingriffe in die Geldpolitik und die dadurch ausgelösten Wechselkursschwankungen bereiten den Unternehmen zunehmend Sorgen“, hieß es am Montag beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Die Schwankungen der türkischen Lira sind für die Unternehmen im Exportgeschäft eine große Herausforderung“, sagte Ulrich Ackermann, Außenwirtschaftschef des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Deutsche Firmen verkauften 2020 Waren im Wert von mehr als 21 Mrd. Euro in der Türkei.
Der neue Zentralbankchef Kavcioglu kündigte am Sonntag an, sich gegen die hohe Inflation stemmen zu wollen. In einer von der Zentralbank veröffentlichten Stellungnahme hieß es, die Währungshüter würden weiter geldpolitische Instrumente einsetzen, um „ihr Hauptziel, einen dauerhaften Rückgang der Inflation“, zu erreichen. In den vergangenen Wochen war Kavcioglu allerdings mit Kritik an den Zinserhöhungen seines Vorgängers Agbal aufgefallen. Angesichts des weltweit sehr niedrigen Leitzinsniveaus würden die wirtschaftlichen Probleme damit nur schlimmer gemacht, argumentierte Kavcioglu. Auf entsprechende Äußerungen verwies Sören Hettler, Analyst der DZBank. Erdogan hat immer wieder deutlich gemacht, dass er in niedrigen Zinsen bei hoher Inflation keinen Widerspruch sieht, sondern im Gegenteil hohe Leitzinsen als Ursache hohen Preisdrucks sieht. Das widerspricht der gängigen Sichtweise von Ökonomen. Hettlers Schlussfolgerung: „Dieser äußerst unorthodoxen ökonomischen Theorie kann offenbar auch der neue Mann an der Spitze der Notenbank etwas abgewinnen.“
Risiko Zahlungsausfall
„Wie gewonnen, so zerronnen“, kommentierte Thomas Gitzel von der VP Bank mit Verweis auf das von Agbal wiederaufgebaute Vertrauen in die Unabhängigkeit der Notenbank. Gitzel verwies auf den „großen Berg von Fremdwährungskrediten“, wodurch die Währungsschwäche zu einem akuten Problem werde, insbesondere für Unternehmen und Banken. Ohne Vertrauen bleibe „das Risiko eines Zahlungsausfalls bestehen“.
Diese Befürchtung wurde am Montag dadurch genährt, dass Kreditausfallversicherungen für türkische Anleihen in die Höhe schossen. Manuel Schimm von der BayernLB schrieb unter der Überschrift „Erdogan lässt der Zentralbank keine Chance“, der Staatschef habe untermauert, dass er die Integrität der Zentralbank nicht respektiert bzw. dass es unter ihm keine langfristig nachhaltige Geldpolitik geben wird“.