Fachkräftemangel

Arbeitsmarkt hat Zenit überschritten

Der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel erschwert den Stellenaufbau in Deutschland. Unternehmen tun sich zunehmend schwer, geeignetes Personal zu finden. Eine IW-Studie malt für die Zukunft ein finsteres Bild.

Arbeitsmarkt hat Zenit überschritten

ast Frankfurt

Der Arbeitskräftemangel bremst den Stellenaufbau in Deutschland. Das geht aus dem Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor, das den vierten Monat in Folge gesunken ist. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) macht wenig Hoffnung auf Besserung: So gut wie derzeit wird der Arbeitsmarkt in Zukunft nicht mehr laufen, schreiben die Kölner Ökonomen. Die Bundesregierung beruft ein Spitzentreffen ein.

„Der boomende Arbeitsmarkt bekommt einen Dämpfer, aber der Bedarf an Arbeitskräften bleibt enorm“, sagt Forschungsleiter Enzo Weber vom IAB. „Erholung von der Coronakrise, Energiewende, demografischer Wandel – all das führt zu drängenden Engpässen.“ Wie aus dem IAB-Barometer hervorgeht, zeigen sich die Arbeitsagenturen insgesamt weniger optimistisch: Der Frühindikator ist das vierte Mal nacheinander gesunken, auf 101,3 Punkte.

Die Jobcenter rechnen mit einer steigenden Arbeitslosigkeit. Die Komponente zur Vorhersage der Arbeitslosigkeit ist im August nach drei Rückgängen in Folge um 0,1 Punkte gestiegen und liegt aktuell bei einem Wert von 98,1 Punkten. Damit bleibt die Komponente Arbeitslosigkeit unter der neutralen Marke von 100, was auf steigende Arbeitslosigkeit hinweist. Hauptgrund dafür sei die Registrierung ukrainischer Geflüchteter. Am Mittwoch stellt die Bundesagentur für Arbeit (BA) ihren Arbeitsmarktbericht für August vor.

Das Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts ist den dritten Monat in Folge gefallen. Zwar planen die meisten Unternehmen nach wie vor Neueinstellungen. „Der Fachkräftemangel macht es gleichzeitig jedoch schwierig, viele offene Stellen zu besetzen“, erklärt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.

Die Bundesregierung will bei einem Spitzentreffen am 7. September mit Gewerkschaften und Verbänden über Wege zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beraten. „Wir müssen alles dafür tun, dass der Fachkräftemangel unsere Wirtschaft nicht ausbremst“, teilte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit. Für viele Unternehmen werde die Suche nach Fachkräften „auch in den nächsten Jahren eine große, manchmal sogar eine existenzielle Herausforderung bleiben“.

Wenig rosige Zukunft

Auch langfristig gesehen ist eher Minderung denn Besserung in Sicht. Unter dem vielsagenden Titel „Viel besser wird es nicht“ veröffentlichte das IW eine Studie zum Potenzial des deutschen Arbeitsmarktes. Demnach hat die Zahl der Erwerbspersonen ihren Höhepunkt bereits überschritten. „Somit wird der Arbeitsmarkt als Quelle für weitere Wohlstandszuwächse schon in der mittleren Frist nicht mehr zur Verfügung stehen“, schreibt IW-Experte Holger Schäfer.

Bis zur Mitte der zwanziger Jahre gehen die geburtenstarken Babyboomer in Rente und hinterlassen eine große Lücke am Arbeitsmarkt. Seit 1991 ist die Zahl der Erwerbslosen der IW-Studie zufolge um über fünf Millionen Menschen gestiegen. Zuletzt hat ihre Zahl jedoch spürbar abgenommen (siehe Grafik). Es könne sich auch um eine Folge der Coronakrise oder ein statistisches Artefakt handeln, heißt es vom IW, es sei aber wahrscheinlicher, dass der Rückgang der Bevölkerung immer weniger mit einer Erhöhung der Erwerbsneigung – etwa bei Teilzeitkräften – kompensiert werden könne.

Auch die Zuwanderung wird nicht reichen. Deutschland bräuchte dem IW zufolge eine Brutto-Zuwanderung von 1,5 Millionen Menschen im Jahr, um den notwendigen Wanderungssaldo – also das Plus von Zugewanderten gegenüber Abgewanderten – von etwa 400000 Personen zu erreichen. Hinzu komme, dass auch die bisherigen Hauptzuwanderungsländer selbst inzwischen mit dem demografischen Wandel kämpften.

„Deutschlands Arbeitsmarkt ist nach über 15 guten Jahren an einem Höhepunkt angekommen“, resümiert IW-Ökonom Schäfer. Obwohl es unwahrscheinlich erscheine, dass genügend Zuwanderer angezogen werden können, sei eine Zuwanderungspolitik erforderlich, die „monatelange Verzögerungen bei der Erteilung von Visa zur Einreise beseitigt“. Und dann steigt auch Schäfer in die von der Wirtschaft angestoßene Debatte ein und schreibt: „Großes Potenzial hätte eine Erhöhung des Renteneintrittsalters.“ Die Tarifpartner sollten – statt über Arbeitszeitverkürzungen zu diskutieren – lieber umsteuern.

Wertberichtigt Seite 6

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