Argentinien wartet weiter auf Umschuldung
Von Andreas Fink, Buenos Aires
An der Wall Street gilt es als ausgemacht, dass Argentinien und der Internationale Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr keine Einigung über eine Umschuldung des Rekordkredits von 2018 finden werden. Die Regierung verhandelt nun mit dem IWF über Möglichkeiten, das Stand-by-Darlehen von 45 Mrd. Dollar, das bis 2023 retourniert werden müsste, in einen neuen Vertrag umzuwandeln. Dieser soll, unter dem Regelwerk des „Extended Fund Facilities Program“, eine Rückzahlung binnen zehn Jahren vorsehen.
Ehe Argentiniens Finanzminister Martín Guzmán kommende Woche in Washington mit dem Fonds verhandeln wird, informierten mehrere Finanzinstitute ihre Kunden, dass sie keine schnelle Einigung erwarten. Das Bankhaus J.P. Morgan etwa rechnet erst in der ersten Jahreshälfte 2022 mit einem Übereinkommen.
Diese Verzögerung hat zwei Gründe: Zum einen kann das Pampa-Land auf eine Rekord-Sojaernte hoffen. Diese könnte zwischen 5 und 7 Mrd. Dollar mehr ins Land bringen als ursprünglich budgetiert. Gestiegene Steuererlöse und eine Verschärfung von Import- und Devisenkontrollen könnten Guzmán Spielraum geben, um die Kreditverpflichtungen dieses Jahres zu erfüllen. Insgesamt muss Argentinien 2021 gut 7 Mrd. Dollar zurückzahlen, davon im April etwa 2,3 Mrd. an den Club of Paris, wovon auch Deutschland betroffen ist. Hier wird Guzmán wohl um Stundung bitten. Den IWF muss er bedienen, eine Rate wird zur Jahresmitte fällig, eine zweite Ende September. Aber auch hier könnten die Argentinier Glück haben. Denn der Fonds plant angesichts der weltweit anfallenden Pandemiefolgen eine Kapitalaufstockung. Aus dieser könnte Argentinien knapp 3 Mrd. Dollar erwarten, womit es die im Herbst zu zahlende Rate abdecken könnte.
Keine Reformen vor der Wahl
Der zweite Grund des Aufschubs ist politisch: Bei den Parlamentswahlen im Oktober will das Duo aus Alberto Fernández und Cristina Kirchner keine Verluste riskieren. Ein Akkord mit dem IWF wird strukturelle Reformen erfordern, die vor allem Kirchner keinesfalls vor dem Wahltag angehen will. Der IWF wird deutliche Flexibilisierungen im Arbeitsrecht, Einschnitte im staatlichen Rentensystem, einen Abbau von Steuern und Subventionen sowie eine Reduktion des unfinanzierbaren öffentlichen Sektors einfordern, also all das, was seit Jahrzehnten den Peronismus ausmacht. Jede Maßnahme dieser Art würde die Wahlchancen der Regierung schmälern, und das würde vor allem Cristina Kirchner persönlich treffen: Denn die Ex-Präsidentin braucht absolute politische Mehrheiten in beiden Kammern, um die zehn Strafverfahren, ein Großteil wegen Korruption unter ihrer Präsidentschaft von 2008 bis 2015 gegen sie und auch ihre zwei Kinder, aus der Welt zu schaffen.
Dieses im Grunde private Problem der Familie Kirchner dominiert – trotz anhaltender Pandemie und wirtschaftlicher Probleme – die öffentliche Diskussion in Argentinien. Vorige Woche musste Alberto Fernández einen neuen Justizminister berufen, nachdem die bisherige Ministerin Marcela Losardo, seit Jahrzehnten eine enge Vertraute des Juristen Fernández, entnervt um Rücktritt bat. Kirchner-treue Spitzenbeamte hatten die Ministerin seit Regierungsbeginn Ende 2019 unter Druck gesetzt, zuletzt verlangte auch die Vizepräsidentin öffentlich, „Funktionäre, die nicht funktionieren,“ müssten ausgetauscht werden. Nun amtiert Martín Soria, der in seiner Heimatprovinz bereits durch brachiale Methoden gegen Justiz und Presse aufgefallen ist.
Die Opposition, aber auch viele Investoren werten die Berufung dieses Hardliners als Alarmsignal. Und als peinliche Vorführung des Präsidenten Fernández, dessen Position auch durch Unregelmäßigkeiten und schwere Defizite in der Impfkampagne stark geschwächt ist. Zu Wochenanfang wurde publik, dass das Land bereits 43% der für Vakzine budgetierten Mittel ausgegeben, aber bislang erst 1% der Bevölkerung gegen das Coronavirus immunisiert hat. Nun ist abzusehen, dass das Land nicht alle Risikogruppen wird schützen können, ehe im Mai der südliche Winter beginnt. Zudem droht die Ausbreitung der hochinfektiösen brasilianischen Manaus-Mutation.
Nach Recherchen der Agentur Bloomberg halten es wichtige Vertreter des IWF inzwischen für besser, mit Argentinien erst nach den Wahlen im Oktober zu verhandeln. Finanzminister Guzmán, der vor seinem Besuch beim IWF am Donnerstag und Freitag in New York Investoren traf, will in Washington offenbar auch mit Spitzenvertretern des US-Finanzministeriums sprechen. Aber bislang hat Guzmán offenbar keine Einladung der Ministerin Janet Yellen bekommen, obwohl diese als enge Vertraute von Guzmáns langjährigem Chef Joseph Stiglitz gilt. Auch beim IWF hat sich die anfängliche Sympathie für Guzmán angeblich etwas gelegt. Argentinische Journalisten wollen erfahren haben, dass man beim IWF des Ministers und dessen Chefs Fernández müde sei. Es heißt, der Fonds möchte lieber mit jenen verhandeln, die wirklich Macht besitzen in Argentinien.