LEITARTIKEL

Auslaufmodell Abe

Am Donnerstag wird Japans regierende Liberaldemokratische Partei ihren Vorsitzenden Shinzo Abe zum zweiten Mal in seinem Amt bestätigen. Dadurch könnte er bis 2021 weiterregieren, länger als jeder andere Premier seit dem Zweiten Weltkrieg. Seine...

Auslaufmodell Abe

Am Donnerstag wird Japans regierende Liberaldemokratische Partei ihren Vorsitzenden Shinzo Abe zum zweiten Mal in seinem Amt bestätigen. Dadurch könnte er bis 2021 weiterregieren, länger als jeder andere Premier seit dem Zweiten Weltkrieg. Seine Wiederwahl gilt als sicher, da die Mehrheit des Parteitags hinter ihm steht. Mitten im längsten Konjunkturaufschwung der Nachkriegszeit gibt es für Japans dominante Partei keinen Grund, ihr bestes Pferd zu wechseln.Der Politiker Abe hat seine Partei zwar nie begeistert. Aber die Bilanz seiner sechs Amtsjahre fällt einfach zu positiv aus, als dass man seinen Machtanspruch ignorieren könnte. Japans Bruttoinlandsprodukt wuchs von 2012 bis 2018 im Schnitt um 1,3 % weit über der Potenzialrate. Die Unternehmensgewinne stiegen auf Rekordhöhe, ebenso die staatlichen Steuereinnahmen. Die Zahl der Beschäftigten wuchs um 2,5 Millionen, obwohl die Zahl der Japaner im Erwerbsalter wegen des demografischen Wandels um 4,5 Millionen sank. Mehr Frauen, Senioren und Ausländer gehen arbeiten. Trotzdem fiel die Arbeitslosenquote um fast die Hälfte auf 2,5 %.Man kann darüber streiten, wie viel Abes wachstumsorientierte Abenomics-Politik zu diesem Boom beigetragen hat. Denn Japans Wirtschaft war nach langer Deflation und heftiger Finanzkrise reif für einen längeren zyklischen Aufschwung. Die größte Unterstützung kam von der Erholung der Weltwirtschaft durch die global lockere Geldpolitik. Die Bank of Japan schwächte dabei den Yen, was Japans Exporteure beflügelte. Im Vergleich dazu wirkten sich Abes wenige Reformen kaum aus, etwa die Verbesserung der Corporate Governance, die Senkung der Unternehmenssteuern und die Zähmung der Agrarlobby.Seine expansive Fiskalpolitik erwies sich als zweischneidiges Schwert: Japans Wirtschaftsleistung wächst erstmals seit Mitte der 1990er Jahre wieder nominal, weil die milde Deflation überwunden ist. Dadurch stagnierte die staatliche Schuldenquote, obwohl die Schuldensumme weiter anstieg. Aber das Schließen der Primärlücke im Haushalt wurde um fünf Jahre auf 2025 verschoben. Denn knapp die Hälfte der Staatsanleihen ist in die Bilanz der Bank of Japan gewandert und dadurch quasi neutralisiert. Das mindert den fiskalischen Handlungsdruck.Abes eigentlicher Verdienst liegt wohl darin, den bleiernen Pessimismus über die vermeintlich düstere Zukunft eines vergreisenden Japans vertrieben zu haben. Seine nationale Vision sieht eine Gesellschaft von mindestens 100 Millionen Japanern vor, die bis an ihr Lebensende aktiv bleiben. Junge Japaner blicken wieder mit Zuversicht nach vorn und gehören zu Abes größten Unterstützern. Ausländische Anleger hörten seine Rufe und investierten wieder in japanische Aktien. Der Stand des Nikkei 225 verdoppelte sich.Vielleicht die größte Leistung von Abe dürfte die Öffnung Japans sein. Aus dem früheren Bollwerk des Protektionismus wurde ein starker Befürworter des Freihandels. Seine Regierung rettete den Freihandelsvertrag der Pazifikanrainer, schloss einen Handelspakt mit der EU und bereitet gerade einem asienweiten Freihandelsdeal den Weg. Die Olympischen Spiele 2020, die Abe nach Tokio holte, tragen zu dieser neuen Weltoffenheit bei.Unter Abe erlebte Japan einen Zustrom von Ausländern wie noch nie. Die Zahl der Touristen hat sich gegenüber 2010 auf rund 30 Millionen nahezu vervierfacht. Zugleich verdoppelte sich in fünf Jahren die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte auf 1,3 Millionen. Ab 2019 will Japan seine Tore für Hunderttausende Gastarbeiter jährlich öffnen. Damit reagiert der rechtsnationale Politiker pragmatisch auf die Klage vieler Unternehmen über fehlendes Personal. Nur das Wort “Einwanderung” vermeidet Abe, um konservative Wähler nicht unnötig in Aufregung zu versetzen.Angesichts von Lokal- und Oberhauswahlen und dem Wechsel auf dem Kaiserthron im nächsten Jahr wird Abe jedoch keine Experimente riskieren. De facto ist er bereits ein Auslaufmodell. Seine Macht wird bis zu seinem Abgang 2021 allmählich schwinden. Abe dürfte sich darauf konzentrieren, den Ärger von US-Präsident Donald Trump über Handelsdefizit und Fahrzeugexporte zu dämpfen. Auch seine zweite Aufgabe ist eher reaktiv: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Oktober 2019 will er so abfedern, dass eine Rezession vermieden wird. Mehr Ehrgeiz ist von Abe nicht mehr zu erwarten.—–Von Martin FritzWegen der anstehenden Wahlen wird Japans Premier in seiner restlichen Amtszeit keine wirtschaftspolitischen Experimente mehr riskieren.—–