LEITARTIKEL

Bewährungsprobe in Berlin

Es ist eine sonderbare Debatte im Parlament über den Bundeshaushalt 2020 und die weitere Finanzplanung. Das zentrale Thema können die Abgeordneten diesmal nicht rhetorisch zerpflücken, weil es nicht greifbar ist: das Klimapaket. Erst in gut einer...

Bewährungsprobe in Berlin

Es ist eine sonderbare Debatte im Parlament über den Bundeshaushalt 2020 und die weitere Finanzplanung. Das zentrale Thema können die Abgeordneten diesmal nicht rhetorisch zerpflücken, weil es nicht greifbar ist: das Klimapaket. Erst in gut einer Woche – am 20. September – will das Bundeskabinett über das Klimaschutzgesetz einig werden. Wesentliche Ausgaben, welche die Finanzlage des Bundes in den kommenden Jahren bestimmen werden, sind bislang aus der Regierungsvorlage ausgeklammert und damit aus der Etatdebatte verbannt. Lediglich ein Sammelsurium von Ideen aus der Koalition ist bislang bekannt: billigere Bahntickets, verteuertes Autofahren oder Abwrackprämien etwa zum Austausch klimaschädlicher Ölheizungen gehören dazu. Ob die absehbare Einführung eines Preises für den luftverschmutzenden CO2-Ausstoß über einen Marktmechanismus geregelt wird oder über eine staatliche dekreditierte Steuer, ist völlig offen.Die Klimadebatte in Berlin stellt die Regierung vor eine Bewährungsprobe in zweierlei Hinsicht. Es geht zum einen um die Arbeitsfähigkeit der großen Koalition, zum anderen um eine Richtungsfrage für die Wirtschaft. Schon beim Start von Schwarz-Rot im Frühjahr 2018 stand in Frage, ob das mühsam geformte Bündnis aus CDU, CSU und SPD wohl das Ende der Legislaturperiode 2021 erreichen wird. Eine ganze Reihe der nun für den SPD-Parteivorsitz konkurrierenden Kandidaten will der großen Koalition erklärtermaßen sofort den Rücken kehren. Nur wenn es Union und SPD gelingt, zum angekündigten Termin ein konsistentes Klimaschutzpaket vorzulegen, kann sie die Glaubwürdigkeit in ihre Handlungsfähigkeit retten. Die schlechten Ergebnisse von CDU und SPD in den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zeigen, dass dies dringend geboten ist.Darüber hinaus wirft das Klimapaket eine Grundsatzfrage über den Stellenwert der Wirtschaft in Deutschland auf und darüber, nach welchen Prinzipien Wirtschaft hierzulande künftig organisiert wird. Werden Industrie und Mittelstand mit staatlichen Auflagen drangsaliert oder kann der Umweltschutz zu einem Wohlstand verheißenden Geschäftsfeld ausgebaut werden? Gilt noch das Prinzip von Markt und Wettbewerb, das Deutschlands Wirtschaft auch international stark gemacht hat, aber zunehmend aus der Mode zu kommen scheint? Selbst bei CDU und CSU wird der wirtschaftspolitische Flügel mehr und mehr von jenen übertönt, die mit sozialpolitischen Versprechen in der Debatte über die Spaltung der Gesellschaft punkten wollen.In der Generalaussprache über den Bundeshaushalt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nun eine entscheidende Weiche gestellt und ihre Fraktion beim Klimaschutz in Richtung Soziale Markwirtschaft eingeschworen. Die Kanzlerin zeigte sich mit Blick auf die Bepreisung von Klimakosten überzeugt, dass die Mechanismen der Sozialen Marktwirtschaft das Erfolgsrezept sind, um “Innovation, menschliche Antriebskraft, menschliche Kreativität und menschlichen Forschergeist zu inzentivieren”. Innovation und Forschung wird ihr zufolge dort ausgelöst, “wo wir als Politiker uns das gar nicht ausdenken können”. Darüber hinaus bekannte Merkel sich auch bei der Digitalisierung der Wirtschaft zum Geist der Sozialen Marktwirtschaft, um technologische Rückstände aufzuholen. Rolf Mützenich, Interims-Fraktionsvorsitzender der SPD mit Aussicht auf Verbleib im Amt, fährt indessen in die entgegengesetzte Richtung. Das gängige Leitbild “So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig” deklarierte er als “nicht mehr zeitgemäß”. Er hält es für zu “gutgläubig” mit Blick auf die Effizienz der Märkte und für zu defensiv für die “Rolle des Staates in einer modernen Volkswirtschaft”. In der Generaldebatte über den Etat bekannte er sich zu einem “effizienten und durchsetzungsfähigen Staat” mit einer “gut ausgestalteten und attraktiven Verwaltung” und einem “größeren finanziellen Fundament”. Die SPD wolle “diese Mittel in öffentliche Gemeingüter” umlenken.In der schwarz-roten Koalition tun sich damit tiefe Gräben in der Frage des grundsätzlichen Kurses auf. Es wird eine Kunst sein, darüber Brücken zu schlagen. Nur wenn dies gelingt, wird die Koalition Bestand haben. Aber die Kunst reicht noch weiter. Nur wenn das Klimaschutzpaket mehr ist als ein Sammelsurium aus den Wunschlisten von Union und SPD, wird es gelingen, die Klimaschutzziele dauerhaft ohne Wohlstandseinbußen zu erreichen. Das Paket muss dafür eine klare marktwirtschaftliche Handschrift tragen.——Von Angela WefersDie Koalition steht vor einer Bewährungsprobe. Es geht um ihre Arbeitsfähigkeit und um eine Richtungsfrage für die deutsche Wirtschaft.——