Afghanistan

Biden zwischen Kritik und Häme

Von Selbstkritik keine Spur, dafür beißende Kritik in der Heimat und Häme aus China: US-Präsident Joe Biden hat den militärischen Rückzug aus Afghanis­tan energisch verteidigt und gerät innen­politisch unter Druck.

Biden zwischen Kritik und Häme

det/nh Washington/Schanghai

Von Selbstkritik keine Spur, dafür beißende Kritik in der Heimat und Häme aus China: US-Präsident Joe Biden hat den militärischen Rückzug aus Afghanistan energisch verteidigt und gerät innenpolitisch unter Druck. „Ich habe in 20 Jahren gelernt, dass es nie leicht ist, amerikanische Truppen abzuziehen“, sagte Biden in einer Fernsehansprache. Trotzdem „stehe ich voll hinter meiner Entscheidung“. China übte sich in Schadenfreude: In der englischsprachigen Ausgabe der „Global Times“, dem wichtigen Sprachrohr der Kommunistischen Partei, wird die Machtübernahme der Taliban und die chaotische Evakuierung durch die USA in großen Lettern als „Schande Amerikas“ und „Strafe für Arroganz“ gefeiert. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua jubelt, dass mit dem Sturz von Kabul das Todesglöckchen für US-Hegemonialansprüche läutet.

Zwar räumte Biden am Montagabend (Ortszeit) ein, dass die Machtübernahme durch die Taliban schneller erfolgt sei, als Regierung und Geheimdienste erwartet hatten. Gleichwohl schob er die Verantwortung der afghanischen Regierung und den mehr als 300000 Sicherheitskräften zu, die von der US-Armee ausgebildet und ausgerüstet worden waren. Die Aufgabe der USA sei nie gewesen, in Afghanistan eine Demokratie aufzubauen. Es sei lediglich darum gegangen, Osama bin Laden zu eliminieren und sicherzustellen, dass Afghanistan nicht mehr als sicherer Hafen für Terrorgruppen dient. Beides sei gelungen, so Biden.

Der Demokrat galt schon 2001, damals als Senator, als Gegner eines ausgedehnten Militäreinsatzes in der Region. Als er 2009 Vizepräsident unter Barack Obama war, sprach er sich gegen die Truppenaufstockung aus, die Obama durchsetzte. In seiner neuen Funktion als Präsident habe er nun lediglich die von seinem Vorgänger Donald Trump getroffene Vereinbarung umsetzen wollen. Trump hatte seinerzeit den Truppenabzug bis zum 1. Mai abschließen wollen. Biden hielt diesen Zeitplan für unrealistisch und versprach, den Rückzug bis zum 11. September, dem 20. Jahrestag der Terroranschläge in New York, zu beenden.

In Washington stieß die Entscheidung des Präsidenten auf harte Kritik. Der republikanische Kongressabgeordnete Michael McCaul, Mitglied des auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, sagte, dass „die Biden-Präsidentschaft für ewig mit dem Makel dieses kolossalen Scheiterns behaftet sein wird“. Die Abgeordnete Liz Cheney, deren Vater vor 20 Jahren Vizepräsident war und an der Vorbereitung der Militäraktion in Afghanistan maßgeblich beteiligt war, sprach von einem „epischen Versagen“. Auch Demokraten räumten ein, dass die logistische Abwicklung und das Timing des Rückzugs misslungen waren.

Was den raschen Siegeszug der Taliban angeht, betonte das chinesische Außenministerium nüchtern, dass man die „Entscheidung der Afghanen“ für einen Macht- und Regierungswechsel „respektiert“. Gleichzeitig erinnert Peking die Taliban-Führung höflich daran, sich an ihre Versprechungen für einen geordneten Übergang und eine sogenannte „weiche Landung“ zu halten und von der fundamentalislamistischen Schreckensherrschaft Abstand zu nehmen, die das Taliban-Regime vor rund 25 Jahren geprägt hatte.

Peking positionierte schon vor Wochen Willkommensgesten. Dazu ließ man sich eine besondere diplomatische Spitze einfallen: Nur Stunden nachdem US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman ein unterkühltes Treffen mit chinesischen Außenpolitikern in der Hafenstadt Tianjin absolviert hatte, empfing Außenminister Wang Yi den stellvertretenden Taliban-Führer Abdul Ghani Baradar, der im selben Sessel wie Sherman Platz nehmen durfte. Mit der ausgeklügelten protokollarischen Etikette wurden die nach diplomatischer Anerkennung heischenden Extremisten für alle Welt aufgewertet und de facto legitimiert. Die Gegenleistungen dürften nach den Wünschen Pekings darin bestehen, dass die Taliban Rücksicht auf chinesische „Seidenstraßenprojekte“ in Afghanistan nehmen und sich von jeder Solidarisierung mit den von China unterdrückten Minderheiten in der muslimisch geprägten Provinz Xinjiang an der Grenze fernhalten.