Bolsonaro nicht nur wegen Amazonas unter Druck

Brasilien will Handelsabkommen mit der EU nicht gefährden - Wirtschaft kommt nur langsam in Schwung

Bolsonaro nicht nur wegen Amazonas unter Druck

Von Andreas Fink, Buenos AiresEs war eine Vollbremsung im letzten Moment. Als Jair Bolsonaro am Freitag der Vorwoche der Welt in einer TV-Ansprache versicherte, den Amazonas-Urwald künftig besser schützen zu wollen und 45 000 Soldaten zum Löscheinsatz abkommandierte, waren Brasilien und sein Präsident auf den Titelseiten der Weltpresse angekommen. Vor Beginn des G7-Gipfels bezichtigte der Gastgeber Emmanuel Macron den Ex-Militär der Klimalüge und drohte an, das im Juni unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Staaten des Mercosur nicht zu ratifizieren. Und Südamerikas Riese, der sich immer noch müht, den Folgen der schwersten Wirtschaftskrise aller Zeiten zu entkommen, schien den nach jahrzehntelangen Verhandlungen endlich erlangten Zugang zu einem 500-Millionen-Einwohner-Markt jäh zu verlieren. Doch dann hatte Brasilien Glück: Die Überraschungsvisite des iranischen Außenministers faszinierte die Welt noch mehr als die virtuellen Flegeleien des Staatschefs und von dessen Söhnen.Neun Monate ist Bolsonaro im Amt und die bisherige Bilanz bleibt hinter den hohen Erwartungen deutlich zurück. Am Donnerstag publizierte das nationale Statistikinstitut IBGE die Wachstumszahlen für das zweite Quartal: Um 0,4 % legte die Gesamtwirtschaft im Vergleich zum ersten Trimester zu, in dem noch ein Rückgang von 0,2 % registriert worden war. Das schwache Wachstum wurde hauptsächlich durch Zuwächse in der Industrie (0,7 %) und im Dienstleistungssektor (0,3 %) getragen. Landwirtschaft und Viehzucht ließen um 0,4 % nach, der Bergbau verlor 3,8 %. Weil die Wirtschaft allgemein mit noch schwächerem Wachstum kalkuliert hatte, legte am Donnerstag die Börse in Sao Paulo zu, der Kurs des Bovespa-Index überschritt die 100 000er-Marke.Dort lag er bereits im März, seither illustriert die Kurve des Börsenbarometers den Weg eines Landes, das den Weg in den Aufbruch nicht so recht finden will. Und das, obwohl viele wichtige Faktoren durchaus attraktiv erscheinen. Die Zinssätze verharren weiterhin auf einem historischen Tiefstand von 6 % und die Inflation lag Ende Juli bei 3,2 % über dem gleichen Monat des Vorjahres. Der Kongress hat in zwei Abstimmungen die seit Jahren überfällige Reform des Rentensystems beschlossen, dessen bisherige Kosten für einen Großteil der Budgetdefizite der vergangenen Jahre verantwortlich waren. Sollte die Reform wie geplant im September auch noch halbwegs unversehrt durch den Senat kommen, könnte Brasilien in den nächsten zehn Jahren mindestens 230 Mrd. Dollar sparen, so die Berechnungen der Regierung. Dennoch löste die Annahme der Pensionsreform nicht jenen Investitionstsunami aus, den manche vorausgesagt hatten.Das erklärt sich einerseits damit, dass viele Unternehmen immer noch erhebliche Überkapazitäten haben. Andererseits hat auch der Staat nach jahrelangen Budgetdefiziten kaum noch Spielraum für Investments. Ein 2016 in die Verfassung aufgenommener Deckel für Staatsausgaben verhindert Strukturprogramme. 15 Bundesstaaten sind praktisch zahlungsunfähig und hängen von Transfers aus Brasília ab. Insgesamt lag die Investmentquote im Jahr 2018 mit 15 % deutlich hinter dem lateinamerikanischen Durchschnitt von 19 %.Bolsonaros Superminister für Wirtschaft und Finanzen, Paulo Guedes, hatte zunächst große Hoffnungen in die Privatisierung von Firmen aus dem Staatsvermögen gesetzt. Doch der Prozess zieht sich, auch weil der Handelskonflikt zwischen den USA und China die Anlagefreude in Emerging Markets bremst. Vorige Woche wurde die Liste der zu veräußernden Staatsbetriebe um neun Objekte erweitert, darunter die Post und sogar die staatliche Münzprägeanstalt. Schon vorher war Electrobras, der größte Stromversorger des Landes, auf die Veräußerungsliste gekommen. Und auch das Kronjuwel soll folgen: Petrobras, der größte Konzern Brasiliens wird gerade umstrukturiert und soll bis 2022 veräußert werden – dann stünde eine mögliche Wiederwahl Bolsonaros an.Wenn er die erlangen will, müsste der Präsident freilich beweisen, dass er imstande ist, über einen längeren Zeitraum einigermaßen vorhersehbar zu regieren. Bislang glich sein Kurs eher einem Urwaldtrip in einem Militärjeep. Kurz nach seinem Amtsantritt versuchte Bolsonaro, dem Kongress eine erste Version der Pensionsreform zu befehlen – und scheiterte. Das Parlament, in dem die Partei des Präsidenten nur 10 % der Sitze besetzt, ließ ihn poltern, aber beschloss nichts. Erst als der Staatschef im Mai stillhielt, organisierte der konservative Parlamentspräsident Rodrigo Maia – kein Parteifreund – eine erstaunlich große Mehrheit für das Gesetz. Eine deutliche Ansage für die anstehende Reform des aberwitzigen Steuersystems. Politischer PyromaneIn einem seiner vielen Interviews im August bekannte der Präsident freimütig, dass er nie über die Konsequenzen dessen nachdenke, was er gerade sage. Sollte er das nicht ändern, könnte seine Amtszeit frühzeitig enden. Sollte der politische Pyromane weitere Flammen entfachen, die vitale Interessen seines Landes gefährden, könnten die Parlamentarier reagieren wie 2016, als sie die Linke Dilma Rousseff absetzten. Fürs Erste scheint Bolsonaro das verstanden zu haben. Am Donnerstag verbot er sämtliche Feuerlegung während der Trockenzeit im Amazonas-Gebiet.