Großbritannien

Boris Johnson setzt auf Brexit-Eklat

Die britische Regierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das ihr erlaubt, das Nordirland-Protokoll auszuhebeln. Premier Boris Johnson hofft, durch Partygate verprellte Brexiteers zurückzugewinnen.

Boris Johnson setzt auf Brexit-Eklat

Von Andreas Hippin, London

Der britische Premierminister Boris Johnson hat den seit langem schwelenden Streit mit der EU über die Zollkontrollen zwischen Ulster und dem Rest des Landes dazu genutzt, das Thema Brexit wiederzubeleben. Seine Regierung brachte ein Gesetz auf den Weg, das die Rechtsgrundlage dafür herstellt, das Nordirland-Protokoll des EU-Austrittsvertrags auszuhebeln. Die empörten Reaktionen europäischer Politiker auf das Northern Ireland Protocol Bill kommen ihm zugute. Der durch Partygate schwer angeschlagene Führer der britischen Konservativen darf hoffen, dass sich die Brexit-Befürworter von einst angesichts der Drohungen aus Brüssel um ihn scharen werden. Bei der Vertrauensabstimmung, die Johnson für sich entscheiden konnte, hatten führende Brexiteers wie Steve Baker gegen ihn gestimmt. Johnson nannte die möglichen Vergeltungsmaßnahmen Brüssels „grotesk“. Eine Einführung von Zöllen auf britische Güter wäre eine „krasse, krasse Überreaktion“, sagte er. Das Gesetz diene dazu, den Frieden in Nordirland zu erhalten. Ob er noch eine Mehrheit im Unterhaus dafür mobilisieren kann, ist ungewiss.

„Unhaltbarer Zustand“

„Dieses Gesetz wird das Karfreitagsabkommen aufrechterhalten und die politische Stabilität in Nordirland stärken“, sagte Außenministerin Liz Truss bei der Vorlage des Entwurfs. Durch das auch als Belfast Agreement bekannte Abkommen von 1998 wurde der Bürgerkrieg in Nordirland beendet. „Es wird den unhaltbaren Zustand beenden, dass Menschen in Nordirland anders behandelt werden als im Rest des Vereinigten Königreichs, sowie den Vorrang unserer Gerichte und unsere territoriale Integrität schützen.“ Das Nordirland-Protokoll habe in der Unruheprovinz Probleme wie eine beschwerliche Zollabfertigung, eine unflexible Regulierung, unterschiedliche Besteuerung und Fragen nach der demokratischen Legitimität hervorgerufen. Der innerbritische Handel werde dadurch gestört. Für die Wirtschaft bedeute das wesentliche Kosten und großen bürokratischen Aufwand.

„Nach 18-monatigen Verhandlungen mit der EU wird eine Verhandlungslösung zur Lösung dieser Probleme, die fester Bestandteil des Protokolls sind, von Großbritannien weiterhin bevorzugt“, lautet der wichtigste Satz in der Pressemitteilung des Außenministeriums dazu. „Die EU muss aber dazu bereit sein, Änderungen am Protokoll vorzunehmen.“ Im Klartext heißt das: Der Gesetzentwurf ist zugleich Druckmittel und Teil der Verhandlungsmasse bei den Diskussionen mit Brüssel. Der Widerstand vieler Brexit-Gegner und der Opposition dürfte dafür sorgen, dass viele Monate ins Land gehen, bevor so ein Gesetz in Kraft treten kann. Die Regierung kann es auch wieder vom Tisch nehmen.

Jeffrey Donaldson, der Führer der Democratic Unionist Party (DUP), erklärte derweil, seine Partei sei nur zur Wiederbelebung des Regionalparlaments in Stormont bereit, wenn das Gesetz in Westminster beschlossen werde. „Das Nordirland-Protokoll und das Karfreitagsabkommen können nicht nebeneinander existieren“, konstatierte Donaldson. Das Protokoll zerstöre den lagerübergreifenden Konsens, auf dem die politischen Institutionen basierten. Die Unionisten hatten sich nach dem Sieg von Sinn Féin bei den Regionalwahlen aus den durch das Karfreitagsabkommen geschaffenen politischen Institutionen zurückgezogen. Es sah eine Teilung der Macht zwischen den verfeindeten Lagern vor. Nun arbeiten die Nationalisten auf ein Referendum über den Anschluss an die Republik im Süden der Grünen Insel hin. Eine solche Volksabstimmung ist im Karfreitagsabkommen für den Fall vorgesehen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse in Ulster ändern sollten. Sinn Féin ist offenbar der Ansicht, ein solches Votum für sich entscheiden zu können. Nordirland taugt nicht für Taschenspielertricks. Das musste schon Johnsons Vorgängerin Theresa May erfahren, als sie auf die Stimmen der DUP angewiesen war. Doch die Tories haben nichts daraus gelernt.

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