Brasilien kommt nicht aus der Krise
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Der totale Kollaps in Brasiliens Gesundheitssystem generiert massive Probleme in der Wirtschaft und gefährdet die politische Stabilität des Landes. Nachdem er vorletzte Woche bereits seinen Gesundheitsminister ausgetauscht hatte, versuchte Präsident Jair Bolsonaro am Montag durch eine große Kabinettsumbildung seine inneren Allianzen zu festigen und das abgekühlte Verhältnis zu den USA zu verbessern.
Der prominenteste Wechsel betrifft das Außenministerium. Der Karrierediplomat Carlos Alberto Franco França tritt an die Stelle des ideologischen Eiferers Ernesto Araújo. Dieser hatte nicht nur den Klimawandel geleugnet, sondern auch als einziger Außenminister überhaupt Joe Bidens Wahlsieg öffentlich als Betrug bezeichnet. Mehrfach provozierte er Konflikte mit dem wichtigsten Handelspartner China, was Brasilien wohl Nachteile im Wettlauf um Vakzine einbrachte.
Gleichzeitig besetzte Bolsonaro die Ministerien für Justiz und Verteidigung mit engen Vertrauten und holte die bisherige Abgeordnete Flavia Arruda in die „Casa Civil“. An dieser Schaltstelle zwischen Regierung und Kongress geht es vor allem um die Zuteilung von Finanzmitteln. Arruda gehört zur Liberalen Partei, die wiederum zum „Centrão“ gehört, jener Gruppe aus konservativen Kleinparteien, die Bolsonaro im Parlament stützen. Deren führender Vertreter, der Präsident der Abgeordnetenkammer Arthur Lira, hatte Bolsonaro vorige Woche im Parlament gesagt, die Abgeordneten könnten „schmerzhafte Arzneien verabreichen“, was manche als Androhung eines Impeachment-Verfahrens werteten.
Währenddessen kämpfen Ärzte gegen ein mutiertes und deutlich gefährlicheres Coronavirus. In allen 26 Bundesstaaten sind die Kliniken am oder über dem Limit. In der Vorwoche verloren täglich mehr als 3000 Menschen ihr Leben. Mehr als 300000 Menschen starben seit März 2020. Eine Besserung ist vorerst nicht absehbar, denn das Impfprogramm kommt nur schwer in Gang. Die erneute Infektionswelle bedroht die ökonomische Erholung vom Einbruch 2020, als das BIP um 4,1% schrumpfte. Die in den meisten Bundesstaaten verhängten Lockdowns belasten informelle Arbeiter sowie den Dienstleistungsbereich. Der Konsum dürfte geschmälert werden, die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit weiter steigen. Der nationale Thinktank erwartet, dass das BIP im ersten Quartal um 0,5% im Vergleich zu den letzten drei Monaten des Jahres 2020 schrumpfen wird, gefolgt von weiteren –0,5% im zweiten Quartal.
Ab April zahlt der Staat wieder Nothilfen. Vier Raten wurden in einem Nachtragshaushalt budgetiert. Allerdings wurde im Vergleich zu 2020 sowohl die Zahl der Empfänger verringert als auch der auszuzahlende Betrag. Eine Besserung erwarten die meisten Ökonomen erst in der zweiten Jahreshälfte, wenn Hunderte Millionen Impfdosen von Pfizer und Johnson & Johnson bereitstehen sollen. Zudem sehen sie Hoffnung in der Exportwirtschaft, die vom niedrigen Kurs des Real ebenso profitiert wie von der Erholung der Exportmärkte China und USA sowie von den aktuell hohen Rohstoffpreisen.
Zinssteigerung erwartet
Kehrseite des niedrigen Währungskurses sind freilich gestiegene Kosten für Importprodukte, die Brasiliens Industrie treffen werden. Daher dürfte diese Krise einen schon seit Jahren anhaltenden Trend bestärken: Der Agrarsektor legt zu, während die Industrie abbaut.
Problematisch ist auch der steile Anstieg der Inflation seit dem letzten Quartal 2020. Derzeit liegt deren Wert mit etwa 5,5% über dem Inflationsziel von 3,5%. Viele Experten erwarten, dass vor allem die hohen Rohstoffpreise und die Real-Schwäche die Teuerung bis zur Jahresmitte auf bis zu 8% treiben könnten. Darum beschloss die Zentralbank trotz der flauen Konjunktur, den Leitzins Selic von seinem Rekordtief von 2% auf 2,75% zu erhöhen. Anfang Mai soll er erneut angehoben werden, kündigten die Währungshüter an. Insgesamt fürchten Ökonomen, dass die Wirtschaft den Corona-Einbruch in diesem Jahr nicht wird aufholen können.