Brasilien will Reformen verstärken

Präsident Temer entgeht Korruptionsanklage - Unterstützung sinkt aber

Brasilien will Reformen verstärken

af Buenos Aires – Brasiliens Regierung will ihren Reformkurs intensivieren, nachdem Präsident Michel Temer vom Kongress Rückendeckung erhalten hat. Kabinettschef Eliseu Padilha erklärte am Donnerstag, dass die Regierung nun all ihre Anstrengungen dem Umbau des Renten- und der Vereinfachung des Steuersystems widmen werde.Am Mittwoch hatte der Kongress beschlossen, dem Präsidenten nicht die Immunität zu entziehen. Brasiliens Generalstaatsanwalt hatte Anklage gegen Temer wegen passiver Korruption erhoben, nachdem Mitte Mai bekannt gewordene Audio- und Videoaufnahmen den Staatschef erheblich kompromittiert hatten.Temer beteuerte seither stets seine Unschuld – und entwarf mit seinem Team jenen Plan, der ihm die Rettung durch dieselben Abgeordneten einbrachte, die Temers Vorgängerin Dilma Rousseff wegen einer weitaus weniger dramatischen Anschuldigung abgesetzt hatten. In den kurzen Begründungen, die alle Abgeordneten am Mittwoch vor ihrer jeweiligen Stimmabgabe abgeben mussten, ging es weniger um Schuld, Moral oder gar Gott wie vor einem Jahr. Sondern zumeist um “Wirtschaft”, gepaart mit Begriffen wie “Verantwortung”, “Stabilität” und “Fortschritte”. Obwohl Temers Popularität bei der Bevölkerung auf das Rekordtief von 5 % gefallen ist, trafen die Abgeordneten ihre Entscheidungen wohl nicht nur aus Sorge um das Wohl des Landes als Ganzem. In den letzten zwei Monaten waren deutlich mehr Bundesmittel in die Wahlkreise vieler Abgeordneter geflossen als Anfang des Jahres. Zwischen Januar und Mai summierten sich diese Direkttransfers auf 88 Mill. Real. Aber im Juni und Juli überwies die Zentrale insgesamt 3,4 Mrd. Real.Der Generalstaatsanwalt hat angekündigt, Temer auch wegen Justizbehinderung und Bildung einer kriminellen Vereinigung anzuklagen. Sollte es dazu kommen, müsste Temers Entourage einen zweiten Schutzschild organisieren. Aber weitere kostspielige Geschenke könnten das Vertrauen der Wirtschaft und der Finanzmärkte in die Regierung untergraben, befürchten viele Beobachter.Als Temer im Mai 2016 antrat, hatte er 80 % der Abgeordneten hinter sich. Doch am Mittwoch war die Mehrheit auf 51 % gefallen. In allen Parteien der Regierungskoalition gab es Abweichler, selbst in Temers PMDB. Kabinettschef Eliseu Padilha zeigte sich dennoch überzeugt, dass die Regierung ihren Reformplan nun wieder dort aufnehmen kann, wo sie ihn nach dem Skandal um Temer Mitte Mai belassen hatte. “Die öffentlichen Haushalte dürfen nicht in ein absolutes Chaos ausarten. Darum müssen wir die Rentenreform jetzt wieder angehen und abschließen”, versicherte Padilha im Wissen, dass dieses unpopuläre Reformpaket eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Kongress braucht. Von der war die Regierung am Mittwoch weit entfernt.Das teure Pensionssystem, das bislang weder ein festes Rentenalter noch eine Mindest-Beitragsdauer vorschrieb, gilt als Hauptverursacher für Brasiliens riesige Budgetdefizite der letzten Jahre von etwa 10 % gemessen an der Wirtschaftsleistung. Nun will die Regierung ein Mindestalter von 62 Jahren für Frauen und 65 für Männer sowie mindestens 25 Beitragsjahre festlegen. Dabei ist große Eile geboten, denn je näher der nächste Wahltermin im Oktober 2018 rückt, desto schwerer dürfte es der Regierung fallen, mindestens 308 Abgeordnete für die zwei notwendigen Abstimmungen über die unpopuläre Maßnahme zu gewinnen.