Corona

Britischer Impferfolg in Gefahr

Die britische Sars-CoV-2-Impfkampagne ist bislang erstaunlich erfolgreich verlaufen. Schon 29 Millionen Menschen – mehr als zwei Fünftel der Bevölkerung – erhielten bereits ihre erste Dosis.

Britischer Impferfolg in Gefahr

Von Andreas Hippin, London

Die britische Sars-CoV-2-Impfkampagne ist bislang erstaunlich erfolgreich verlaufen. Schon 29 Millionen Menschen – mehr als zwei Fünftel der Bevölkerung – erhielten bereits ihre erste Dosis. Möglich war das nur, weil man sich bei der Beschaffung nicht auf die heimische Gesundheitsbürokratie verließ. Wie Boris Johnsons ehemaliger Chefstratege Dominic Cummings vor Unterhausabgeordneten ausführte, drang unter anderem Patrick Vallance, der oberste wissenschaftliche Berater der Regierung, darauf, die Verantwortung dafür nicht dem Gesundheitsministerium anzuvertrauen. Nach den Skandalen um die Beschaffung von Schutzkleidung für Mitarbeiter des National Health Service (NHS) sei es „nur noch eine rauchende Ruine“ gewesen, sagte Cummings.

Stattdessen richtete man eine Task Force unter Führung von Kate Bingham ein, die als Managing Partner bei der Beteiligungsgesellschaft SV Health Investors über reichlich Branchenerfahrung verfügt. Vor al­lem wusste sie, worauf es in Vertragsverhandlungen ankommt. Schon im Sommer vergangenen Jahres orderte sie 30 Millionen Dosen des von Pfizer und Biontech entwickelten Produkts. Zudem setzte man auf die Partnerschaft zwischen AstraZeneca und der Universität Oxford. Man wollte in der Lage sein, ein Vakzin im eigenen Land zu produzieren. Denn damals fürchtete man, dass die Vereinigten Staaten der Immunisierung der eigenen Bevölkerung den Vorzug geben könnten. Der britischen Regierung­ wurde zwar mitunter vorgeworfen, auf Schmusekurs zur Pharmaindustrie gegangen zu sein, doch war das die Voraussetzung dafür, die Unternehmen zu Investitionen in die Impfstoffproduktion zu bewegen. Großbritannien zahlte wesentlich mehr pro Impfdosis als die EU, um garantiert beliefert zu werden. Im „Spectator“ ist von 3 Pfund für AstraZeneca und 15 Pfund für Pfizer/Biontech die Rede, während Brüssel nur bereit gewesen sei, 1,78 Euro für das Oxford-Vakzin und 12 Euro für das Produkt des Viagra-Herstellers auszugeben. Durch Notfallzulassungen ermöglichte die britische Arzneimittelaufsicht MHRA einen schnellen Impfbeginn, was ihr vom Kontinent den Vorwurf einbrachte, nicht sorgfältig genug bei der Prüfung gewesen zu sein. Tatsächlich ging es um die Haftungsfrage. In Großbritannien übernahm der Staat die Verantwortung für mögliche Impfschäden.

Man impfte so viele Menschen wie möglich, ohne die zweite Dosis einzulagern, weil man von einem hohen Schutz durch den ersten Pieks ausging. Zudem zögerte man die zweite Dosis hinaus. All das wurde als verantwortungslos kritisiert. Doch wie sich später herausstellte, entfaltet das Oxford-Vakzin seine größte Wirkung, wenn bis zur zweiten Dosis acht bis zwölf Wochen vergangen sind. Nun könnte die Impfkampagne jedoch an Schwung verlieren. Die Beschaffungsketten der Hersteller setzen voraus, dass kein Land Exportbeschränkungen verhängt. Doch Indien will nun keine AstraZeneca-Dosen aus eigener Produktion mehr liefern. Und die EU könnte Pfizer/Biontech untersagen, Impfstoff über den Ärmelkanal zu schicken.