EUROPA HAT DIE WAHL -- EUROPAWAHL 2019

Brüsseler Kernkompetenz

Wahlerfolge der Populisten beeinflussen EU-Handelspolitik - Auch Grüne und Linke fordern Kurswechsel

Brüsseler Kernkompetenz

Das Erstarken populistischer Parteien bei der Europawahl könnte auch Einfluss auf die künftige Handelspolitik der EU haben. Kurskorrekturen werden allerdings auch von anderen Parteien gefordert. Die Kernkompetenz Brüssels und der europäische Mehrwert im Bereich des Handels wird nicht in Frage gestellt. Von Andreas Heitker, BrüsselWohl in kaum einem der zentralen Kernbereiche der Europäischen Union hat es in den vergangenen Jahren derart Bewegung gegeben wie in der Handelspolitik. Die Themenpalette reichte dabei von den Protestwellen gegen geplante Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta über Neujustierungen der Politik durch die EU-Kommission, über die von US-Präsident Donald Trump angezettelten globalen Handelskonflikte, über die Einführung neuer Schutzinstrumente für Unternehmen und Investoren bis hin zu Reformvorschlägen für die Welthandelsorganisation WTO.Die Angriffe auf den Multilateralismus von populistischer Seite haben die EU und verbündete Länder zwar enger zusammenrücken lassen und haben im Endeffekt den Abschluss der wichtigen Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und Japan (Jefta) erleichtert. Aber die Ergebnisse der Europawahl könnten den Abschluss weiterer Handelsverträge erschweren – allen voran eines mit den USA, warnen Beobachter.Es geht dabei in erster Linie gar nicht darum, dass das EU-Parlament einem Abkommen zustimmen muss – denn selbst bei dem wahrscheinlichen Erstarken der populistischen und EU-kritischen Kräfte dürften diese auch im neuen Plenum noch weit von einer Blockademehrheit entfernt sein. Wichtiger könnten die Reaktionen auf nationaler Ebene auf den Wahlausgang sein, wie etwa Commerzbank-Analyst Ralph Solveen warnte. “Denn viele nationale Regierungen werden zögern, den Populisten mit einem häufig unpopulären Freihandelsabkommen weiteren Auftrieb zu geben.” Und die nationalen Regierungen bestimmten im Europäischen Rat die Leitlinien für die Verhandlungen und müssten wie die nationalen Parlamente einem Handelsabkommen wohl auch zustimmen.Solveen verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die Bedenken auf nationaler Ebene bereits dafür verantwortlich gewesen waren, dass es neun Monate gedauert hatte, bis die EU-Kommission ein Mandat für die Verhandlungen mit den USA bekommen hat. Und bei denen gehe es nun immerhin um die Vermeidung der von US-Präsident Trump angedrohten Strafzölle auf Autos.Und obwohl es Brüssel gelungen ist, in den vergangenen Jahren zentrale Handelsabkommen abzuschließen, und der Mehrwert der europäischen Handelspolitik gegenüber einer nationalen eigentlich so gut wie gar nicht in Frage gestellt wird (außer vielleicht in Großbritannien) – in den Parteiprogrammen zur Europawahl schwingt dennoch viel Skepsis und Kritik gegenüber der aktuellen Ausrichtung mit.Die AfD ist zwar grundsätzlich dafür, dass sich die EU auch weiterhin für den Freihandel und offene Märkte einsetzen sollte und auch Investitionsabkommen aushandelt, die die Rechte der europäischen Unternehmen schützen. Aber die Partei stellt auch ganz klar: “Handelsvereinbarungen sind vorzugsweise im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO abzuschließen, da sie dann den größten Nutzen für alle Beteiligten erbringen.”Die Grünen, die Linken und zum Teil auch die Sozialdemokraten sehen Handelsabkommen auch als ein Instrument, viel stärker als bisher soziale und ökologische Standards in Drittstaaten durchzusetzen und zugleich Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. Bei den Linken heißt es etwa, neue “Abkommen über Partnerschaft und fairen Handel” sollten die globalen Wirtschaftsbeziehungen der Europäischen Union neu ausrichten und die bestehenden Handelsabkommen ersetzen.Die Grünen, die in ihrem Programm die wohl detaillierteste Strategie für die künftige Handelspolitik vorlegen, lehnen immer noch die Freihandelsverträge mit Japan (wegen der mangelnden Verankerung und Durchsetzung sozialer und ökologischer Standards) und mit Kanada (wegen der Klagemöglichkeiten für Investoren) ab. Schiedsgerichte im FokusDie Schiedsgerichte zum Investorenschutz sind ohnehin bei allen Parteien ein wichtiges Thema, obwohl die EU-Kommission hier schon seit einiger Zeit auf ein neues Investment Court System (ICS) setzt, das einmal in einen multilateralen Investitionsgerichtshof übergehen soll. Dieses neue Gericht soll auch das umstrittene alte Investorenschutzsystem in Handelsverträgen ersetzen.Die Grünen sind damit nicht zufrieden und fordern einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof, vor dem nicht nur Unternehmen klagen können, sondern auch Betroffene gegen die Verletzung menschenrechtlicher, sozialer und umweltrelevanter Verpflichtungen durch transnationale Unternehmen. Bei der SPD heißt es hierzu allgemein, Handelsstreitigkeiten müssten “vor öffentlichen Gerichten oder internationalen Handelsgerichtshöfen geklärt werden und dürfen nicht in privaten Schiedsgerichten verhandelt werden”.Als klare Verfechter des Freihandels und auch des aktuellen Kurses der EU-Kommission präsentieren sich zur Wahl CDU/CSU und die FDP. Bei der Union wird der weitere Abbau internationaler Handelshemmnisse gefordert und ein neuer Anlauf für ein Abkommen mit den USA. Mit Australien, Neuseeland, Vietnam und den Mercosur-Staaten sollten zudem weitere “moderne und transparente Handelsabkommen” abgeschlossen werden.Bei der FDP heißt es ebenfalls, ein Vertrag mit den USA bleibe “ein großes liberales Ziel”. Künftige Freihandelsabkommen sollten zudem so angelegt sein, dass sie “EU-only” seien, also nur Bereiche umfassten, für die die EU allein zuständig ist. Dies erspare dann auch die Probleme der nationalen Ratifizierungen. Zuletzt erschienen: Reform der Eurozone und Porträt Manfred Weber, 30.4. Die künftige Bankenregulierung und Porträts Barley/Bullmann, 3.5. Der Blick auf die Wahl in den großen EU-Mitgliedstaaten, 7.5.