„Bundesarbeitsminister Heil tritt die Gerechtigkeit mit Füßen“
„Bundesarbeitsminister Heil tritt die Gerechtigkeit mit Füßen“
Generationenforscher Bernd Raffelhüschen kritisiert Rentenpaket als „Verrat an den jungen Menschen“ – Kapitaldeckung zu mickrig
lz Frankfurt
Die Bundesregierung verschlimmert nach Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen die langfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft immer weiter. Wie aktuelle Berechnungen zum Ausmaß der deutschen Staatsverschuldung zeigen, ist die implizite Verschuldung zwar leicht zurückgegangen, liegt aber immer noch auf einem dramatisch hohen Niveau. Zumal der leichte Rückgang nicht durch politische Reformen erzielt worden ist, sondern eine Folge der zuletzt stark steigenden Löhne darstellt. Langfristig drohten weiterhin eine Explosion der Sozialbeiträge und eine immer höhere Steuerlast für die junge Generation.
Aktuell liegt die ausgewiesene explizite und implizite Verschuldung nach der neuen „Generationenbilanz“ des Freiburger Forschungszentrums bei 15,4 Bill. Euro, was 375% des Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht. Der größte Teil entfällt dabei mit vier Fünftel auf die impliziten Schulden, die im Wesentlichen die bereits erworbenen und bei Fortführung des Status quo noch entstehenden, aber durch das gegenwärtige Steuer- und Abgabenniveau nicht gedeckten Ansprüche heutiger und künftiger Generationen gegenüber dem Staat widerspiegeln.
Nachhaltigkeitslücke in der Rentenversicherung steigt
„Der Staat weist nur einen Bruchteil seiner Schulden aus“, kritisiert der Freiburger Ökonom und hält die Klagen der Bundesregierung über den durch die Schuldenbremse zu geringen Finanzierungsspielraum für „reine Schauspielerei“. Hätten die Staatsausgaben seit 2019 nur mit dem BIP-Wachstum zugelegt, würden sie aktuell um 50 Mrd. Euro unter dem tatsächlichen Niveau liegen. Das Gerede von einem „Sparhaushalt“ sei „Unsinn“.
Für geradezu heuchlerisch hält Raffelhüschen zudem den Versuch der Bundesregierung, das anstehende „Rentenpaket II“ als soziale Errungenschaft zu verkaufen. Vielmehr würde es die implizite Verschuldung noch weiter steigern. Wegen der Haltelinie für das Rentenniveau bei 48% des durchschnittlichen Lohneinkommens steige die Nachhaltigkeitslücke in der Rentenversicherung von 87,8% des BIP um 3,6 Bill. Euro auf 127,7%.
Keine Generationengerechtigkeit
Zudem würden einseitig die Verursacher der demografischen Krise – die Babyboomer, die zu wenig Kinder in die Welt gesetzt hätten – davon profitieren, während die Finanzierung dieser Wohltaten durch höhere Beiträge und Steuern allein von den jungen Menschen und nachfolgenden Generationen aufgebracht werden müssten, kritisiert Raffelhüschen. Er spricht von einem „Verrat an den jungen Menschen“. Grund dafür ist, dass mit der Reform auch der Nachhaltigkeitsfaktor weiter ausgesetzt wird, der die demografischen Lasten einigermaßen gerecht unter Jung und Alt aufteilen soll.
Auch das Ifo-Institut hat darauf hingewiesen, dass durch die Rentenreform nur „die Älteren profitieren, aber die Jüngeren verlieren“. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) „tritt die Gerechtigkeit mit den Füßen“, schimpft Raffelhüschen. „Die meisten Politiker wollen das Ausmaß der fehlenden Nachhaltigkeit der Rentenversicherung offenbar nicht verstehen und tendieren stattdessen immer wieder dazu, das Problem sogar noch weiter zu verschärfen.“ Nur, weil die impliziten fiskalischen Lasten erst in der Zukunft direkt sichtbar würden, dürfe man sie nicht weniger ernst nehmen als die heutigen Haushaltsdefizite.
Da das mit der Reform zugleich einzuführende „Generationenkapital“ viel zu niedrig ausfällt („Tropfen auf den heißen Stein“), das als Kapitaldeckung mehr Rendite am Markt erwirtschaften und später die Rentenbeiträge durch jährliche Zuschüsse dämpfen soll, rechnet Raffelhüschen für die Zukunft auch mit einer gesellschaftlich explosiven Situation. Die Sozialbeiträge würden schnell auf 50% der Lohnsumme ansteigen. Seiner Ansicht nach kommt man nicht darum herum, die Rentenleistungen komplett von den gedeckelten Beiträgen abhängig zu machen, statt wie bisher das Rentenniveau als Zielgröße festzulegen.