Konjunktur

China hofft auf „Normalisierung“

Mit dem Wegfall der chinesischen Corona-Restriktionen scheint eine Wachstumsbelebung der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft im Jahr 2023 vorprogrammiert. Die neue Coronawelle bringt jedoch neue Unsicherheiten für die Konjunktur mit sich.

China hofft auf „Normalisierung“

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Mit der Wende in der chinesischen Corona-Politik stehen China-Ökonomen vor einigermaßen komplexen Szenarien für Chinas konjunkturelle Entwicklung in den kommenden Monaten. Nicht nur die Aktienmarktteilnehmer, sondern auch das Gros der Analysten verbindet mit dem Thema der „Wiedereröffnung“ der chinesischen Wirtschaft eine erhebliche Konjunkturbelebung, die sich in einer gesteigerten Wachstumsrate des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) niederschlagen dürfte. Ob dies allerdings jenseits von statistischen Erholungseffekten auch tatsächlich eine Rückkehr zu vor der Pandemie gewohnten Wachstumsraten in einer Größenordnung von etwa 6% bedeutet, ist fraglich.

Die Unsicherheit über die Folgen der „tsunamiartigen“ Corona-Ansteckungswelle ist groß. Ihr wirtschaftliches Störungspotenzial trifft auf eine durch die vorangegangenen Corona-Restriktionen stark geschwächte Konjunktur und ein extrem angeknackstes Konsum- und Investitionsvertrauen. Für das Schlussquartal wird mit einer erheblichen Entschleunigung gerechnet, die das chinesische BIP-Wachstum für das Gesamtjahr 2022 leicht unter die 3-Prozent-Marke drücken dürfte. Es wäre die zweitschwächste Performance in den letzten 30 Jahren nach einem Wachstum von 2,3% 2020 im ersten Coronajahr. Aus einer Umfrage unter China-Ökonomen seitens des Wirtschaftsmagazins „Nikkei Asia“ ergibt sich für 2022 ein Medianwert von 4,7%. Dabei sieht man eine deutliche Diskrepanz in den Prognosen von westlichen Investmentbanken, die mit einem Wachstum zwischen 4 und 5% rechnen, während chinesische Häuser zwischen 5 und 6% liegen. In den über die gesamte Zeit der Null-Covid-Politik hinweg zu blindem Optimismus und damit eklatanten Fehlprognosen verpflichteten Veröffentlichungen von staatlichen Wirtschaftsinstituten wird nun von einer massiven Konsumwende der wieder zuversichtlicher gestimmten Verbraucher gesprochen. Allerdings fehlt dafür noch eine unabhängige Datengrundlage.

Nachfrageknick

Die jüngsten Indikatoren für das Arbeitsmarktklima, die Einkommensentwicklung, den Abgleich zwischen Konsum- und Sparverhalten, den Wohnimmobilienmarkt wiesen historische Tiefstände aus. Das schlagartige Aufgeben der Corona-Kontrollmaßnahmen hat eine Infektionswelle ausgelöst, die Schätzungen zufolge mindestens ein Viertel der Bevölkerung erfasst hat – und zumindest eine temporäre Beeinträchtigung ihrer Arbeitskraft nach sich zieht.

Angesichts der rückständigen medizinischen Versorgungslage und nur rudimentärer sozialer Sicherungssysteme in Chinas ländlichen Regionen ist damit zu rechnen dass sich ein signifikanter Teil der Bevölkerung zu Konsumverzicht und Vorsichtssparen gezwungen sieht. Auch in den Großstädten sieht man starke Zurückhaltung an der Konsumfront und einen vorsichtsmotivierten Verzicht auf größere Anschaffungen, was sich zuletzt in einem auffälligen Nachfrageknick im Pkw-Markt deutlich gezeigt hat.

In dem sowohl für die Industrieproduktion als auch den Einzelhandel wichtigen chinesischen Automarkt zeichnet sich nun eine Delle ab, die zumindest über das erste Quartal 2023 anhalten dürfte. Unsicher sind auch die Perspektiven für eine rasche Erholung des am Boden liegenden Gaststättengewerbes und Tourismussektors. Zwar erlaubt das Wegfallen sämtlicher Beschränkungen nun erstmals wieder eine Reisewelle in der Hochsaison rund um das chinesische Neujahrsfest, das in die dritte Januarwoche fällt. Allerdings zeichnet sich noch denkbar wenig Reise- und Tourismusaktivität ab, die über das Nachholen lange verhinderter Familienbesuche in der Festzeit hinausgeht.

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