Energieversorgung

China kriegt Stromschock verpasst

In China hat sich binnen kurzer Zeit eine Energieversorgungskrise ausgebreitet. Das Problem ist nicht nur ein kräftiger Preisschub bei der Kohle, sondern auch politisches Steuerungsversagen bei der Umsetzung von Klimaschutzzielen.

China kriegt Stromschock verpasst

Von Norbert Hellmann, Schanghai

In zahlreichen Städten im Nordosten Chinas standen am Mittwoch den Einwohnern die Haare regelrecht zu Berge. Sie haben eine Nachricht vom lokalen Energieversorger erhalten, dass sie sich auf Stromausfälle in unregelmäßigen Abständen von unbekannter Dauer einstellen müssen. Und zwar nicht nur in den nächsten Tagen, sondern über Monate hinweg. Im Süden des Landes wiederum, in der wirtschaftsstarken Provinz Guangdong, stehen Fabrik und Büroarbeiter des staatskontrollierten Autobauers GAC vor der Anweisung, Lichter und Klimaanlagen abzuschalten sowie Drucker, Computermonitore und andere Gerätschaften möglichst sparsam zu verwenden. Gleichzeitig melden eine Reihe von Zulieferern des Smartphone-Bauers Apple Produktionsunterbrechungen wegen Stromausfällen.

Was ist bloß los im Reich der Mitte? Binnen weniger Tage haben sich vereinzelte Kapazitätsengpässe im Stromerzeugungssektor zu einer in Chinas industrieller Neuzeit so noch nie dagewesenen Energieversorgungskrise verdichtet, die in mittlerweile 16 Provinzen immer wieder die Lichter ausgehen und die Räder stillstehen lässt. Zwar hat es auch in der Vergangenheit vereinzelt auf lokaler Ebene Stromrationierungsmaßnahmen gegeben, doch waren davon stets nur Industrieanlagen nach einer Vorwarnung betroffen, während private Haushalte verschont blieben.

Für den chinesischen Normalverbraucher ist völlig unverständlich, warum das Land so plötzlich in einer Stromversorgungskrise gelandet ist. Auch die Ökonomen haben einige Mühe zu erklären, welche unheilvolle Kombination von Faktoren hier genau am Werk ist. Einig ist man sich freilich, dass eine atemberaubende Preissteigerung in den vergangenen Wochen bei den von Stromerzeugern und in der Stahlindustrie verwendeten Kohlesorten die jeweiligen Branchen vor ungewohnte Probleme stellt. In jedem Fall schienen chinesische Stromerzeuger angesichts des Preisdrucks beim Input-Faktor Kohle den Energie-Output zurückgefahren zu haben, um Verluste im Zaum zu halten. Dabei haben sie insbesondere in den Stoßzeiten der Stromnachfrage die Bremse gezogen.

Hausgemachtes Problem

Der Kohlepreisauftrieb wiederum ist zum Teil auf Angebotsengpässe zurückzuführen, wobei China als weltgrößter Kohleimporteur von Lieferketten-Disruptionen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und einer Reihe von ernsten Behinderungen und Kapazitätsengpässen in der globalen Frachtschifffahrt stark betroffen ist. Damit sind nicht nur Preisänderungsanpassungen der Stromerzeuger, sondern auch Versorgungsengpässe bei der Kohlebelieferung Teil des Problems.

Die andere Seite der Medaille aber ist eine hausgemachte Problematik der chinesischen Energiepolitik, die auf einer fehlgeleiteten Umsetzung einer neuen Klimaschutzagenda der Regierung beruht. Peking hat die einzelnen Provinzen vor einen knallharten Zielkatalog gestellt, in dessen Rahmen sie auf eine Senkung des Energieverbrauchs und der Energieintensität in bestimmten Industriebranchen hinwirken müssen. Zuletzt hatte der mächtige Wirtschaftsplanungsrat Nation Development and Reform Commission (NDRC) sich eine Reihe von Provinzregierungen wegen der Verfehlung von Zielen vorgeknöpft und sie dazu animiert, rasch zu handeln. Entsprechend ist es zu radikalen Aktionen im Dienste der Planerfüllung gekommen, die sich letztlich nur mit Stromrationierungsmaßnahmen erreichen ließ.

Hoffnungsfaktor Ferien

Nun muss die Zentralregierung erneut gegensteuern, um zu verhindern, dass allzu blinder Gehorsam in Sachen Punkterfüllung von sicherlich hehren Klimaschutzaktionen nicht in einer Weise ausartet, die die Strom- und Wärmeversorgung der privaten Haushalte lahmlegt und gleichzeitig die Industrie vor neue Lieferkettenprobleme stellt. Zumindest ein Faktor kommt Peking dabei sehr entgegen, nämlich eine einwöchige landesweite Ferienpause, die mit dem Nationalfeiertag am 1. Oktober beginnt. Dann nämlich stehen im verarbeitenden Gewerbe aus harmloseren Gründen die Räder sowieso für eine Weile still.

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