Europäische Handelskammer

China verliert seinen Reiz für Investoren

In einem Positionspapier rechnet die Europäische Handelskammer in China hart mit der chinesischen Regierung ab. Die Lobby konstatiert ein deutlich verschlechtertes Investitionsklima, das Anpassungsreaktionen erfordert und das künftige Engagement überdenken lässt.

China verliert seinen Reiz für Investoren

nh Schanghai

Chinas wirtschaftsfeindlicher Umgang mit Corona-Restriktionen, wachsende Behinderungen für Privatunternehmen und eine wesentliche Verhärtung geopolitischer Konflikte lassen ausländische Unternehmen das Interesse am Investitionsstandort China verlieren. Das geht aus einem neuen Positionspapier der Europäischen Handelskammer in China hervor. Die Lobbyorganisation für europäische Unternehmen mit Direktinvestitionen vor Ort äußert sich mit einem so noch nie dagewesenen Pessimismus über die Perspektiven ihrer Mitglieder und die Bereitschaft der chinesischen Regierung, ein adäquates Investitionsklima aufrechtzuerhalten.

„China ist nicht mehr so attraktiv, wie es einmal war“, erklärte Kammerpräsident Jörg Wuttke bei der Vorstellung des Berichts. Man sehe eine Menge von Problemen im chinesischen Wirtschaftssystem und in letzter Zeit gehäuft erratische Kurswechsel und widersprüchliche Maßnahmen. Dabei verweist die Kammer insbesondere auf die Entwicklungen in den vergangenen sechs Monaten, in denen Chinas unflexible Corona-Nulltoleranzpolitik, die Unterstützung des russischen Angriffs auf die Ukraine sowie die Eskalierung des Taiwan-Konflikts ein Klima der Verunsicherung geschaffen hätten. Dies stelle ausländische Unternehmen vor neue Herausforderungen und rücke die Risiken eines fortgesetzten China-Engagements in ein völlig anderes Licht.

„China ist stets extrem zuverlässig, effizient und berechenbar gewesen. Plötzlich aber werden alle diese Charakteristika in Frage gestellt“, erklärte Wuttke. Unter diesen Voraussetzungen könne ein fortgesetztes China-Engagement europäischer Firmen nicht länger als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Es sei unverkennbar, dass die EU-Länder und China immer weiter auseinanderdrifteten. Während westliche Länder der Globalisierung verpflichtet blieben, wende sich China immer mehr nach innen. Durch die unflexible Coronapolitik mit drastischen Einreisebeschränkungen, die ausländischen Managern praktisch keinen Zugang mehr nach China erlaube, nehme die Entkoppelungstendenz zu, betonte Wuttke. Dies wiederum führe dazu, dass man sich in den Chefetagen europäischer Firmen nach Alternativen zum Standort China im asiatischen Raum umsehe.

Das seit 20 Jahren von der European Union Chamber of Commerce in China herausgegebene Positionspapier kommt im Gewand eines umfassenden Katalogs von fast eintausend Detailvorschlägen zu Reformansätzen, Verbesserung der Investitionsbedingungen und Lösung von Regulierungsproblemen daher. Es dient vor allem auch dazu, der chinesischen Regierung offensichtliche Missstände und Benachteiligungen ausländischer Investoren vor Augen zu halten.

Zwar hat die Kammer auch in früheren Jahren nicht mit Kritik gespart, politisch sensible Themen jedoch sehr diplomatisch angesprochen. Nun spürt man eine wesentlich schärfere Tonlage, mit der die Desillusionierung ausländischer Investoren über Pekings wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Kurs mit wachsenden Repressalien und einem unübersehbaren Ideologisierungstrend zum Ausdruck gebracht wird. Dies zeigt sich allein daran, dass das diesjährige Positionspapier mit dem plakativen Titel „Ideologie übertrumpft Wirtschaft“ versehen wurde.

Die Pekinger Regierung pflegt in der Regel nicht direkt auf den Bericht zu reagieren und sorgt dafür, dass Staatsmedien auf eine Wiedergabe von Kritikpunkten und pessimistischen Einschätzungen verzichten. Beim täglichen Briefing des Außenministeriums erklärte ein Sprecher in auf eine Frage zum neuen Positionspapier lediglich, „China hofft, dass Europa seinerseits chinesischen Investoren ein offenes, transparentes und nichtdiskriminierendes Geschäftsumfeld gewährleistet.“

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