Coronavirus drückt Industrie tiefer in die Rezession
sp/Reuters Berlin – Der exportorientierten deutschen Industrie droht nach Einschätzung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) wegen des Ausbruchs der Coronavirus-Epidemie die längste Rezession seit der Wiedervereinigung. “Nicht Brexit, nicht Trump, sondern das Coronavirus und seine weltweite Verbreitung haben derzeit den größten negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland”, schreibt die Industrielobby in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Quartalsbericht. “Der deutschen Industrie droht die längste Rezession seit der Wiedervereinigung”, kommentierte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Die Industrie schrumpfte schon vor dem Virusausbruch sechs Quartale in Folge, zuletzt im vierten Quartal 2019 um 5,7 % im Vergleich zum Vorjahr – vor allem wegen der schwächeren Weltkonjunktur, aber auch wegen der Probleme in der Autoindustrie.”Mit den Produktionseinbrüchen in China und den Quarantänemaßnahmen einzelner Länder wird deutlich, wie verletzlich die exportorientierte und international arbeitsteilig organisierte deutsche Wirtschaft ist”, stellt der BDI fest. “Selbst wenn die gesundheitliche Lage sich nun in China stabilisieren sollte und im Rest der Welt rasch unter Kontrolle gebracht würde, werden die wirtschaftlichen Folgen von zeitweiligen Produktions- und Transportunterbrechungen vor allem in China und in anderen Weltteilen deutlich erkennbar.”Für 2020 erwartet der Industrieverband einen Rückgang der deutschen Exporte von Waren und Dienstleistungen in einer Größenordnung von 0,5 %. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte wegen der stabilen Binnenkonjunktur um 0,5 % wachsen. “Die preis- und kalenderbereinigte Wirtschaftsleistung dürfte im laufenden Jahr stagnieren”, ergänzte Lang. Im vergangenen Jahr hatte die Wirtschaftsleistung noch 0,6 % zugelegt. Die Bundesregierung sollte daher mit einem Bündel kurzfristiger Maßnahmen für betroffene Branchen und mittelfristigen wachstumsförderlichen Reformen bei Investitionen und Steuern das Vertrauen der Wirtschaft und der Bürger stützen, fordert der BDI.Doch nicht nur in der Industrie ist die Stimmung wegen der Coronavirus-Epidemie spürbar angespannt. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisierte gestern die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach der Absage der Handwerksmesse in München auf die Teilnahme an einem Spitzengespräch mit dem ZDH, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem BDI und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zu verzichten.”Diese Veranstaltung hätte gerade jetzt stattfinden müssen, um die Signale zu setzen, die viele auch erwarten”, sagte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke mit hörbarer Enttäuschung. Die Kanzlerin hätte gemeinsam mit den Chefs der Spitzenverbände ein Zeichen des Zusammenstehens in der schwierigen Lage setzen und ein Stück Normalität demonstrieren sollen. Die Bundesregierung wies die Kritik zurück. “Generell gilt, dass sich die Bundesregierung in verschiedenen Formaten mit Verbandsvertretern austauscht”, sagte ein Sprecher.Die Absage der Messe ist nach ZDH-Angaben auch unabhängig von dem Spitzentreffen mit der Kanzlerin ein schwerer Schlag für das Handwerk. Die Veranstaltung mit zuletzt 110 000 Besuchern und rund 1 000 Ausstellern ist nach Angaben der Organisatoren einer der wichtigsten Umsatzbringer für deutsche Handwerksbetriebe. Pop schreibt an Altmaier Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) forderte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf, kurzfristig die Ressortchefs von Bund und Ländern zu einer Sonderkonferenz unter Beteiligung der Spitzenverbände der Wirtschaft einzuberufen. Ziel einer Zusammenkunft aller Wirtschaftsminister müsse es sein, “möglicherweise zu entwickelnde Maßnahmen des Bundes und der Länder abzustimmen”, schrieb sie an Altmaier. In einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Berlin Mitte Februar hätten 38 % der Unternehmen angegeben, “bereits Auswirkungen der Coronakrise zu spüren”.