Robert Engle

„Dann läuft der Stresstest ins Leere“

Mit einer Art Frühwarnsystem für Finanzkrisen gewann der US-Ökonom Robert Engle 2003 den Wirtschaftsnobelpreis. Im Interview erklärt der Zentralbankberater, welche Schwachstellen er in den Klimastresstests für Banken sieht.

„Dann läuft der Stresstest ins Leere“

Stefan Reccius.

Währungshüter und Ökonomen debattieren kontrovers über den richtigen Umgang der Zentralbanken mit dem Thema Klimawandel. Auf welche Weise sollten sich Zentralbanken damit befassen?

Der Schlüsselbegriff lautet Finanzstabilität. Auch wenn wir wissen, dass sich das Klima verändert, kann es sein, dass große Banken diesen Veränderungen über die Maßen ausgesetzt sein werden. Denn sie sind traditionell sehr stark in Energieprojekte investiert, das ist eine ihrer wichtigsten Quellen für Kredite. Es gilt also zu verhindern, dass politische Programme zur Dekarbonisierung zu Instabilität im Bankensystem führen. Wenn wir davon ausgehen, dass es zu Instabilität kommt, müssen wir entweder den Klimaschutz einstellen oder die Banken retten. Wenn wir uns frühzeitig damit beschäftigen, können wir dieses Dilemma vermeiden. Ich halte es für sehr vernünftig, dass Zentralbanken in der ganzen Welt Mechanismen für Stresstests bei Banken entwickeln.

Die Zentralbanken befinden sich da in einem frühen Stadium. Wie bewerten Sie deren Vorgehen?

Der Ansatz, den die meisten Zentralbanken verwenden, basiert auf den Buchwerten der Banken: für ihr Kreditprogramm, für das Eigenkapital, für die Verbindlichkeiten und so weiter. Die Zentralbanken sind auf die Beantwortung der Frage aus: Wie wird sich dieser Buchwert ändern, wenn sich das Klima in den nächsten 50 Jahren ändert? Das ist ein sehr kompliziertes Problem, aber ich glaube nicht, dass es das entscheidende Problem ist.

Warum?

Ich halte es für wichtig, auch den Marktwert der Kredite zu berücksichtigen. Der kann sich nämlich deutlich schneller verschlechtern als der Buchwert und den Börsenwert der Bank mit in den Keller ziehen. An diesem Punkt wird die Bank mindestens einen Liquiditätsschock erleiden, weil sie sich kein Geld beschaffen kann, obwohl sie Vermögenswerte hat, die immer noch einen Buchwert haben. Wenn also der Buchwert und der Marktwert auseinanderklaffen, könnte das ein Problem sein.

Können Sie das konkretisieren?

Ein denkbares Szenario ist, dass der Wert von Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, zusammenbricht, lange bevor diese Unternehmen tatsächlich in Schwierigkeiten geraten. Ein solcher Zusammenbruch ist dann rein auf die Erwartungen an den Finanzmärkten zurückzuführen. Das könnte eine Bank zahlungsunfähig machen, ohne dass mit diesen Vermögenswerten tatsächlich etwas passiert ist.

Raten Sie Zentralbanken, Ihre Stresstests entsprechend anzupassen?

Sie verwenden die Börsenbewertung der Banken nicht, weil sie der Auffassung sind, dass dies kein zuverlässiger Indikator für den Wert der Banken ist. Berücksichtigt man hingegen Marktwerte und Buchwerte, hat man viel mehr Vertrauen in das, was man tut. Bei unterschiedlichen Ergebnissen ist es an der Forschung herauszufinden, welcher Wert irreführend ist oder warum sie sich unterscheiden. Ich betrachte dies als Ausgangspunkt eines Forschungsprogramms, das in den Zentralbanken bereits in vollem Gange, aber längst nicht verwirklicht ist. Über unsere Projekte sind wir mit Zentralbanken in der ganzen Welt im Austausch. Damit lässt sich beobachten, welche Länder und welche Banken gefährdet sind. Ich sehe darin eine Ergänzung zu den Stresstests der Zentralbanken.

Wo lauern die größten Gefahren für die Bilanzen der Banken?

Wir nutzen ein Portfolio gestrandeter Vermögenswerte, das stark auf Kohleunternehmen und andere Unternehmen aus dem Bereich fossile Brennstoffe ausgerichtet ist. Wir fokussieren uns auf den Marktwert von Energieaktien und deren Auswirkung auf Bankaktien, weil wir es für wahrscheinlich halten, dass diese besonders stark unter Druck geraten, wenn sich das Klimaproblem verschärft. Bei Kohleunternehmen ist das Risiko gestrandeter Vermögenswerte am größten. Allerdings spricht vieles dafür, dass unterschiedliche Klimafaktoren den Finanzsektor destabilisieren können. Sind es gestrandete Vermögenswerte? Sind es physische Risiken? Ist es eine andere Art von Übergangsrisiko?

Es gibt also keine gesicherten Erkenntnisse, welche Finanzstabilitätsrisiken aufgrund des Klimawandels zum Tragen kommen werden und mit welche Folgen. Was bedeutet das für Stresstests?

Es gibt keine Klarheit über die Risiken, daher gibt es auch keine Klarheit darüber, auf welche Klimarisiken man den Stresstest anwenden sollte. Stresstests von Zentralbanken zielen auf ein bestimmtes Risiko, vom dem diese annehmen, dass wir uns darüber Sorgen machen sollten. Aber nehmen wir an, das ist nicht das eigentliche Risiko: Dann läuft der Stresstest ins Leere. Es lassen sich Stresstests für Dutzende Dinge durchführen, aber wahrscheinlich sind nur manche davon signifikant. Vor uns liegt die Aufgabe herauszufinden, gegen welche dieser Klimaszenarien wir wirklich geschützt sein wollen.

Das Interview führte

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