Schanghai

Das beste Englisch spricht man in Alaska

Schauplatz Anchorage, Alaska: Das erste Gespräch zwischen China und den USA in der Amtszeit von US-Prä­sident Joe Biden endete in einem denkbar frostigen Meinungsaustausch diplomatischer Spitzenvertreter. Chinas Delegation geht dennoch zufrieden aus...

Das beste Englisch spricht man in Alaska

Schauplatz Anchorage, Alaska: Das erste Gespräch zwischen China und den USA in der Amtszeit von US-Prä­sident Joe Biden endete in einem denkbar frostigen Meinungsaustausch diplomatischer Spitzenvertreter. Chinas Delegation geht dennoch zufrieden aus den Gesprächen und bezeichnet das Treffen als konstruktiv. Es sei zu einem zeitgemäßen und nützlichen Dialog gekommen, der das gegenseitige Verständnis fördere. In der Diplomatensprache stehen Wörter wie „konstruktiv“ und „nützlich“ allerdings am unteren Ende der Freundlichkeitsskala. Damit wird dokumentiert, um zu dokumentieren, dass es wenigstens nicht zu einer Schlägerei kam.

In den USA ist man rasch wieder zur Tagesordnung übergegangen, es gibt wahrlich Wichtigeres zu diskutieren, zum Bespiel den schlimm verstauchten Knöchel des Basketball-Stars LeBron James oder die ahndungswürdige Schlüpfrigkeit des Politikers Andrew Cuomo im Umgang mit weiblichen Mitarbeitern. Auf Chinas sozialen Medienkanälen jedoch hat es über das Wochenende nur ein Thema gegeben, nämlich die Alaska-Performance einer weiblichen Mitarbeiterin im Dolmetscherstab des Außenministeriums. Sie heißt Zhang Jing und vereint ein schönes Antlitz und elegante Ausstrahlung mit sprachlicher Brillanz, höchster Professionalität und Nerven aus Stahl.

Zum Auftakt des bilateralen Gesprächs war vorgesehen, dass die Vertreter der USA und Chinas jeweils ein zweiminütiges Statement zur Eröffnung der Diskussion abgeben. Der Gastgeber fing an, aber zum Erstaunen, um nicht zu sagen Entsetzen der chinesischen Seite las der US-Sicherheitsberater Jake Sullivan über eine glatte Viertelstunde eine fix und fertig vorbereitete Rede, die sich wie eine ausgefeilte Anklageschrift gegen alle erdenklichen politischen Gemeinheiten Chinas ausnahm. Was sollte Chinas Top-Diplomat Yang Jiechi nun machen? Nur sein Zwei-Minuten-Statement als Riposte verwenden? Nein, er improvisierte und antwortete aus dem Stegreif mit einer geschliffenen Brandrede. Die wusste er, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, von zwei auf exakt 15 Minuten zu verlängern.

Ein Alptraum für jeden Übersetzer, der nun eine Interpretation hochbrisanter Worthülsen und verschnörkelter Inhalte über einen 20 Seiten langen Stenografie-Mitschrieb erforderte. Die US-Delegation lachte schelmisch. Außenminister Antony Blinken wünschte der Dolmetscherin viel Glück und meinte, sie habe sicherlich eine Gehaltserhöhung verdient. Dann aber blieb Blinken das Lachen im Hals stecken und der Mund offen stehen. Zhang Jing verzog keine Miene und füllte den Raum mit einer kühlen und ruhigen Stimme in einem so atemberaubend geschliffenen Englisch und eleganten Satzkonstruktionen, dass die Zeit regelrecht stehen zu bleiben schien.

*

Noch nie haben Worte eines chinesischen Politbüro-Apparatschik auf internationaler Bühne eine solche Wirkung entfaltet, schon gar nicht im eigenen Land. „Mann, ist diese Frau cool“, lautet die einhellige Meinung auf sozialen Netzwerken. Man ertrinkt förmlich in Videoclips zu Zhangs Dolmetscherauftritt, ihre Bilder werden millionenfach aufgerufen und ihre Lebensgeschichte in allen Kanälen verbreitet. Und schon ist der eigentlich laue Alaska-Gipfel zu einem patriotischen Ereignis ersten Ranges geworden, das nach blitzschneller Übersetzung in die kommerzielle Sphäre schreit. Auf Chinas Alleskönner-Onlinehandelsplattformen werden plötzlich alle möglichen Souvenirartikel von T-Shirts, Schlüsselanhängern und Handyhüllen bis zu Regenschirmen und Tragetaschen feilgeboten, die mit markanten Sätzen aus der Rede Yangs beschriftet sind. Und zwar nicht nur auf Chinesisch, sondern in Zhangs markanter Übersetzung.

Seit Wochenbeginn patrouillieren chinesische Patrioten nun also mit Insignien durch die Gegend, auf denen Sätze wie „Stop interfering in China’s internal affairs“ oder „America has no qualification to talk down to China“ stehen. Ein absolutes Novum, denn zum ersten Mal in der Geschichte des chinesischen Raubkopiegeschäfts scheint das traditionelle orthografisch kompromittierte „Chinglish“ gestochen scharfem und fehlerfreiem Englisch gewichen zu sein.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.