KommentarPolitische Krise Frankreich

Das Recht der Stärkeren

Frankreichs neuer Premierminister reicht der linken Opposition die Hand. Doch das dürfte letztendlich nicht ausreichen, um die Regierungskrise zu beenden. Denn es geht der Opposition vielmehr um das Spektakel.

Das Recht der Stärkeren

Regierungserklärung

Das Recht der Stärkeren

Frankreichs neuer Premierminister macht Zugeständnisse. Doch die könnten nicht ausreichen, um die Regierungskrise zu beenden.

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Von Gesche Wüpper, Paris

Es war der erste große Test für Frankreichs neuen Premierminister François Bayrou. Doch ob er ihn tatsächlich überstanden hat, ist alles andere als sicher. Rund einen Monat nach seiner Berufung hat der Zentrumspolitiker den Abgeordneten der Nationalversammlung in einer anderthalbstündigen Regierungserklärung seine Analyse der Situation geliefert, in der sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone befindet. Die Diagnose könnte treffender nicht sein: Frankreich ächzt unter einer viel zu hohen Schuldenlast, für die nicht nur die Regierungen der letzten Jahrzehnte, sondern auch die Opposition mit ihren ständigen Forderungen nach neuen Ausgaben und geringeren Einsparungen verantwortlich sind. Statt um das Wohl des Volkes haben sie sich stets vor allem um kurzfristige Vorteile und Wählerstimmen gesorgt. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie der Sturz der Regierung von Bayrous Vorgänger Michel Barnier Anfang Dezember gezeigt hat.

Zugeständnisse an die Linke

Frankreich braucht aber dringend wieder Stabilität, wie Bayrou richtig analysierte. Ohne Stabilität wird es nicht gelingen, einen Haushalt für das laufende Jahr zu verabschieden und so die Ungewissheit zu beenden, die auf der Stimmung französischer Haushalte und Unternehmen lastet. Um sich die Zustimmung der Sozialisten und anderer linker Oppositionsparteien zu sichern, ist Bayrou sogar bereit zu Zugeständnissen. Das größte besteht in dem Versprechen, die bei vielen Franzosen so unbeliebte Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron zusammen mit den Sozialpartnern neu verhandeln zu wollen. Mit diesem Angebot macht Bayrou jedoch nichts anderes als das, was er bei seinen Vorgängern kritisiert hat: Die dringend notwendige Sanierung der öffentlichen Finanzen um des lieben Friedens willen aufzuweichen.

Ob Bayrous Angebot, erneut über die Rentenform und die darin vorgesehene Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre zu verhandeln, ausreichen wird, ist gleichwohl fraglich. Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) und der rechtsextreme Rassemblement National (RN) hatten eigentlich auf eine Aussetzung oder Aufhebung gedrängt.

Schau statt Inhalte

Bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag, den die Linksextremisten von La France Insoumise nun einreichen wollen, könnte Bayrou noch mit einem blauen Auge davon kommen. Bei der Debatte über den Haushalt und die folgende Vertrauensfrage aber dürfte die Lage schon anders sein. Bayrou will das Defizit dieses Jahr mittels Einsparungen nämlich von 6,1% auf 5,4% senken, bis 2029 dann auf 3%. Die Welt habe sich von einer Welt der Gesetzesmacht zu einer Welt gewandelt, in der das Recht des Stärkeren gelte, stellte Bayrou richtig fest. Dieser Wandel könnte auch seiner Regierung zum Verhängnis werden. Denn in Frankreichs Parlament geht es inzwischen oft weniger um vernünftige Inhalte als um inszenierte Spektakel. Etwas Besseres, als eine Regierung in die Knie zu zwingen, gibt es dafür nicht.