Geldpolitik

Debatte über EZB-Anleiheabbau nimmt Fahrt auf

Ein weiterer XXL-Zinsschritt der Europäischen Zentralbank ist für viele Beobachter bereits ausgemachte Sache. Nun wird verschärft über den Abbau der im Rahmen der Krisenpolitik erworbenen Anleihen debattiert. EZB-Falken fordern einen Start schon Anfang 2023.

Debatte über EZB-Anleiheabbau nimmt Fahrt auf

Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte aus Sicht von Lettlands Notenbankchef Martins Kazaks im Kampf gegen die hohe Inflation im Oktober einen weiteren XXL-Zinsschritt beschließen. Kazaks zufolge ist eine erneute Erhöhung des Einlagenzinses um 0,75 Prozentpunkte wie im September sinnvoll, wie er am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters am Rande des Jahrestreffens des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington sagte. Die nächste EZB-Zinssitzung ist am 27. Oktober.

Im Dezember ist seinen Worten zufolge ebenfalls ein großer Zinsschritt angemessen, könne aber weniger als 75 Basispunkte betragen. Danach könnten die Schritte dann kleiner ausfallen und mit weiteren geldpolitischen Maßnahmen flankiert werden, sagte der Währungshüter. Kazaks zufolge könnte dazu auch eine Verringerung der im Zuge der Kaufprogramme der vergangenen Jahre stark angeschwollenen Anleihenbestände gehören. Ein solcher Schritt wird von Notenbank-Experten als ‚quantitative Straffung‘ (QT) bezeichnet.

Nagel für früheren Bilanzabbau

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sprach sich am Donnerstag in Washington dafür aus, mit dem Abbau der Anleihenbestände 2023 zu beginnen. Das scheint offenbar auch die Meinung einiger weiterer Ratsmitglieder zu sein, wie die Nachrichtenagenturen Bloomberg und Reuters übereinstimmend berichten. Durch die billionenschweren Anleihenkaufprogramme der vergangenen Jahre ist die Notenbankbilanz der EZB inzwischen auf fast neun Billionen Euro angeschwollen. In der Fachwelt wird der Bilanzabbau über eine Verringerung von Anleihenbeständen als „quantitative Straffung“ (QT – Quantitative Tightening) bezeichnet.

Bislang stellt die EZB in Aussicht, auslaufende Anleihen aus ihrem Ankaufprogramm APP auch nach der ersten Zinserhöhung für eine längere Zeit wieder durch neue Bonds zu ersetzen. Die Währungshüter wollen diese Reinvestitionen so lange fortsetzen wie nötig, um reichliche Liquidität zu gewährleisten und „einen angemessenen geldpolitischen Kurs“ aufrechtzuerhalten. Die EZB könne ihre Sprache zur Ersetzung abgelaufener Anleihen bereits auf ihrer Sitzung im Oktober anpassen, sagten die Insider nun. Möglicherweise im Dezember, aber wahrscheinlicher noch im Februar könne dann ein detaillierter Plan vorgelegt werden.

EZB-Debatte in Zypern

Auf einem kürzlich abgehaltenen Treffen der EZB-Währungshüter in Zypern sei in einer Präsentation ein Ende der vollständigen Reinvestitionen im zweiten Quartal 2023 angeführt worden. Einige Währungshüter hätten frühere Zeitpunkte genannt, andere hätten sich für Juni ausgesprochen. Ein Abbau der Bestände würde dadurch erfolgen, dass die Gelder aus ausgelaufenen Anleihen dann nicht mehr vollständig reinvestiert werden. Die EZB würde dabei sehr flexibel vorgehen. An einen direkten Verkauf der Anleihen sei nicht gedacht, sagten die mit der Situation vertrauten Personen.

Die Währungshüter hätten in ihrer Einschätzung aber übereingestimmt, dass die Finanzmärkte zurzeit angespannt seien. Investoren mit einem verfrühten Reinvestitionsplan zu konfrontieren, mache daher keinen Sinn, sagten die Insider. Die jüngsten Börsenturbulenzen in Großbritannien, die die Bank von England zum Eingreifen bewegt haben, hätten einige Währungshüter aufgeschreckt und die Argumente für ein vorsichtiges Vorgehen gestärkt.

Sorge wegen Italien

Denn eine restriktivere Gangart bei der Geldpolitik und der Bilanzabbau könnte etwa die Probleme mit Italiens Staatsverschuldung verschärfen. Im Juni hatte ein Abverkauf von italienischen Bonds die EZB gezwungen, ein neues Instrument zur Krisenbekämpfung zu entwickeln. Das erlaubt es den Währungshütern mit den Zinsanhebungen zur Inflationseindämmung fortzufahren. Der niederländische Gouverneur Klaas Knot hatte diese Woche aber darauf hingewiesen, dass die EZB anders als die BoE nicht aktiv verkaufen muss, sondern das Portfolio abreifen lassen kann.

Fiskalpolitik vs. Geldpolitik?

Die EZB leitete im Juli die Zinswende ein und hat bislang ihre drei Schlüsselzinsen rasch in zwei Schritten um insgesamt 1,25 Prozentpunkte erhöht. Der Leitzins liegt damit inzwischen bei 1,25%. Und der für die Finanzmärkte derzeit maßgebliche Einlagensatz beträgt aktuell 0,75%. An den Börsen wird aktuell damit gerechnet, dass der Einlagensatz bis zum Jahresende auf rund 2% angehoben und dann im Frühjahr 2023 auf rund 3% weiter nach oben gesetzt wird.

Kazaks argumentierte dahingehend, dass Regierungen zwar jetzt mit gezielten fiskalischen Stützungsmaßnahmen den Schwächsten in der Gesellschaft helfen sollten. Aber es bestehe die Gefahr, dass Geldpolitik und Fiskalpolitik auseinanderdriften. „Die Fiskalpolitik darf nicht zum Inflationsdruck beitragen, und das ist ein schmaler Grat“, warnte Kazaks. Finanzpolitik müsse sich ihrer Wirkung bewusst sein. Regierungen müssten den weniger wohlhabenden Teilen der Gesellschaft helfen. „Aber sie dürfen es nicht übertreiben, denn dann werden wir die Zinsen weiter anheben müssen.“ Und dies würde beispielsweise die Risiken für die Finanzstabilität verstärken.