"Der ultimative Test findet erst beim realen Bail-in statt"
Die Banken zeigen sich bei der Emission nachrangiger Anleihen zurückhaltend, moniert der Frankfurter Finanzökonom Martin Götz, zeigt aber auch Verständnis für ihr Verhalten.- Sie haben in Ihrer Datenauswertung ein anhaltend niedriges Niveau der Bail-in-fähigen Bankenanleihen festgestellt. Reicht das überhaupt aus, um in etwaigen Bankenkrisen ohne ein Bail-out durch den Steuerzahler auskommen zu können?Unsere Daten erlauben leider nur die Analyse von nachrangigen Bankenanleihen, die öffentlich gehandelt werden. Im Falle eines Bail-in spielen öffentlich gehandelte nachrangige Anleihen zwar eine wichtige Rolle, aber die EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten (Bank Recovery and Resolution Directive, BRRD) sieht vor, dass dann auch andere Gläubiger im Falle einer Bankenschieflage herangezogen werden können. Es ist aber klar, dass nachrangige Anleihen im Falle eines Bail-in zuerst daran glauben müssen. Und daher ist es interessant zu beobachten, wie Banken dieses Finanzierungsmittel nutzen. Dass manche der Institute bislang sehr wenig dieser nachrangigen Anleihen emittieren – und dieses Verhalten auch über die Zeit konstant ist -, erscheint mir schon sehr bemerkenswert.- Inwiefern?Mit der BRRD können im Falle einer Abwicklung ja nun nachrangige Anleihen herangezogen werden. Diese nachrangigen Anleihen sind daher riskanter und man sollte erwarten, dass sich dies auch im Emissionsverhalten am Markt darstellt. Dass sich aber in den letzten Jahren keine starken generellen Änderungen im Emissionsverhalten abzeichnen, ist daher schon interessant.- Muss die Politik die Banken künftig stärker in die Pflicht nehmen, damit sie mehr Bail-in-fähige Anleihen auflegen?Das denke ich nicht. Mit welchen Mitteln sich Banken finanzieren wollen, sollte letztlich ihnen selbst überlassen werden. Nur weil eine Bank wenig nachrangige Anleihen emittiert hat, bedeutet ja noch nicht, dass die Bank auch insgesamt nur ein geringes Bail-in-fähiges Kapital hat. Sollte eine Bank wenig nachrangige Anleihen emittiert haben, rücken im Falle eines Bail-in dann eben andere Bankverbindlichkeiten in den Fokus.- Welche sind das?Zum einen gibt es nachrangige Anleihen, die nicht öffentlich gehandelt werden, und diese greifen wir in unserem Datensatz nicht ab. Oder aber auch nachrangige Einlagen. Allerdings kann nicht alles einem Bail-in unterzogen werden, denn die BRRD legt fest, dass bestimmte Verbindlichkeiten wie gedeckte Einlagen von einem Bail-in ausgenommen werden (Artikel 44, Absatz 2). Sollten aber die nachrangigen Verbindlichkeiten nicht ausreichen, dann werden im Falle eines Bail-in auch vorrangige Verbindlichkeiten herangezogen.- Wie wirkt sich die gegenwärtige Niedrigzinspolitik auf die Emissionstätigkeit der Banken aus? Eigentlich wäre doch jetzt die beste Zeit für die Ausgabe Bail-in-fähiger Anleihen, weil sie zwar etwas höher verzinst werden, das Zinsniveau insgesamt aber sehr niedrig ist.Das ist sehr spannend. In der gegenwärtigen Situation kommt es den Banken in erster Linie darauf an, dass sie Geld in ihrer Finanzierung sparen. Zwar sind die nachrangigen Anleihen aufgrund der aktuellen Situation sehr günstig, aber den Banken stehen oft auch noch günstigere Finanzierungsformen zur Verfügung. Zudem beobachtet der Kapitalmarkt die europäischen Banken noch sehr kritisch. Bankenanleihen gelten eben als riskant. Die Risikoprämien dafür sind nicht unerheblich. Dementsprechend sind nachrangige Anleihen für Banken eben deutlich teurer – und daher ist auch die Emissionsaktivität in dieser Kategorie derzeit nicht sehr hoch.- Haben die Banken und die Regulierer überhaupt einen Überblick über das Volumen der im Krisenfall wertlos werdenden Papiere?Regulierungs- und Abwicklungsbehörden erheben immer mehr Daten, um sich über die Auswirkungen und Implementierung eines Bail-in bei Banken ein Bild zu machen. Dabei wird vor allem die Passivseite einer Bank genau durchleuchtet, um zu ermitteln, wie viel von bestimmten Verbindlichkeiten im Falles eines Bail-in herangezogen werden können. Die Bestimmungen der BRRD-Richtlinie sind fest und regeln, wie ein Bail-in umgesetzt werden muss. Der ultimative Test findet aber erst beim realen Bail-in statt, wenn also die Regeln konkret angewandt werden müssen.- Ist juristisch eigentlich abgeklärt, wie mit Bail-in-fähigen Anleihen umgegangen wird, die auf Fremdwährungen lauten?Das wird wohl erst im Fall des Falles letztendlich geklärt werden können – welcher Jurisdiktion sie genau unterliegen und wie die Fremd- in die Heimatwährung umgerechnet wird.- Derzeit vagabundieren mehrere Vorschläge, wie das Bail-in auch bei Staatsinsolvenzen angewendet werden könnte. Die Bundesbank etwa schlägt Klauseln in Staatsanleihen vor, die im Krisenfall etwa eine automatische Laufzeitverlängerung nach sich ziehen. Halten Sie solche Vorschläge angesichts der Erfahrungen mit dem Banken-Bail-in für dienlich und praktikabel?Es ist nicht möglich, diese privatwirtschaftlichen Konzepte auf Volkswirtschaften zu übertragen. Hier hinkt der Vergleich doch ein wenig. Ein Bail-in einer Bank geschieht ja im Rahmen einer größeren Abwicklung und soll sicherstellen, dass eine Bankenkrise die Finanzstabilität nicht gefährdet. Ein Bail-in ist also nur ein Baustein zur Restrukturierung von Banken, die in Schieflage geraten sind. Im Falle einer Staatsschieflage haben wir ja zudem Institutionen, wie den Internationalen Währungsfonds (IWF), die helfen, Staats- und Finanzkrisen zu vermeiden und eine Konsolidierungs- und Wachstumsstrategie von Staaten zu erarbeiten. Im Zuge einer Restrukturierung kann dabei sicherlich ein Schuldenerlass oder ein Schuldenschnitt zustande kommen. Das ist ein größeres Kaliber. Einen solchen Weg muss man meines Erachtens nicht durch die gewünschte Emission von Anleihen bereits vorzeichnen.- Weil dies die Zinsen schon jetzt hochtreibt und die neue Verunsicherung eine Staatskrise erst heraufbeschwören könnte?Das denke ich nicht, denn auch die Implementierung einer Klausel, die eine automatische Laufzeitverlängerung ermöglicht, bedeutet ja nicht, dass eine Staatskrise vor der Tür steht. Die Banken sind ja auch nicht riskanter, nur weil mit der BRRD ein Rahmen geschaffen wurde, strauchelnde Banken zu restrukturieren und abzuwickeln. Eine automatische Verlängerung von Laufzeiten ist ja auch keine langfristige Lösung, um einen Staat in einer Krise zu stabilisieren. Da ist ein Zusammenspiel von mehreren Instrumenten notwendig. Dies gilt ja auch bei der BRRD, und ein Bail-in ist nur ein Teil eines größeren Apparates, um Banken in Schieflage zu restrukturieren und abzuwickeln.—-Das Interview führte Stephan Lorz.