Deutsche Industrie in schwerem Fahrwasser
ba Frankfurt
Im Mai hat sich die Lage der deutschen Industrie etwas verschlechtert. Die Lieferkettenprobleme haben sich zuletzt wieder verschärft, und Indikatoren wie der gestern veröffentlichte Lkw-Maut-Index zeigen, dass so schnell keine Entspannung zu erwarten ist. Dass erstmals seit Jahrzehnten wegen eines Warnstreiks der Hafenarbeiter an Deutschlands großen Seehäfen Stillstand bei der Abfertigung der Schiffe droht und der Streik Tausender südkoreanischer Lkw-Fahrer ein neues Risiko für die weltweit ohnehin unter Druck stehenden Lieferketten ist, sorgt für neues Ungemach.
Dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge könnten die Störungen in Südkorea in Deutschland zu spüren sein. „Für Deutschlands Wirtschaft spielt Südkorea zwar im Vergleich zu dem großen Nachbarn China in der zweiten Liga“, sagte IfW-Handelsforscher Vincent Stamer zu Reuters. „Das Land ist aber außerhalb des geografischen Europas der fünftwichtigste Handelspartner Deutschlands und damit sogar wichtiger als Mexiko oder Kanada.“ Insbesondere im Elektronikbereich sei das Land sehr gut in globale Lieferketten integriert und habe dadurch eine Bedeutung für Deutschland.
Hierzulande rollen die Lkw zwar ungehindert, im Mai waren aber 0,3% weniger Brummis unterwegs als im Monat zuvor. Im Vergleich zum Mai 2021 sank der Lkw-Maut-Index um 2,1%, wie das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilten. Dabei nahmen im Monatsvergleich insbesondere die grenzüberschreitenden Fahrten nach und aus Frankreich zu – um 4,7%. Destatis zufolge hat auch der grenzüberschreitende Lkw-Verkehr aus und nach Tschechien (+3%) „vergleichsweise stark zugenommen“. An der Luxemburger Grenze gab es dagegen den stärksten Rückgang (−4,7%). Die Fahrleistung mautpflichtiger Lkw mit mindestens vier Achsen auf Autobahnen gibt frühe Hinweise zur Konjunkturentwicklung in der Industrie, denn wirtschaftliche Aktivität erzeugt und benötigt Verkehrsleistungen, wie die Wiesbadener Statistiker erklärten. Am engsten ist dabei der Zusammenhang mit der Produktion. Diese hatte im April nur dank der witterungsbedingt kräftig gestiegenen Energieerzeugung zugelegt. „Der Ausblick für die Industriekonjunktur in den nächsten Monaten fällt gedämpft aus“, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium, nachdem bereits die Auftragseingänge im April erneut rückläufig waren.
Von hartnäckigen Problemen zeugt auch der Lieferkettenmonitor der Commerzbank, der zeitnahe Indikatoren zu Rohstoffen, Zwischenprodukten und dem Frachtverkehr betrachtet. Weiter hohen Frachtraten für Schiffscontainer und Luftfracht, leeren Aluminium- und Kupferlagern sowie steigenden Holzpreisen stehen sinkende Kosten für Halbleiter, Stahl und Aluminium gegenüber. Und der Containerschiffstau hat nun die Nordsee erreicht.