Teuerung

Deutsche Teuerung steigt stark an

In den USA steht die Notenbank Fed auch angesichts der stark steigenden Inflation vor einer Debatte über einen Kurswechsel. In Euroland will die EZB davon nichts wissen. Wie lange kann sie das noch durchhalten?

Deutsche Teuerung steigt stark an

ms Frankfurt

Die Inflation in Deutschland hat im Mai erneut deutlich zugelegt – und dabei wieder einmal die Erwartungen übertroffen. Die EU-harmonisierte Teuerungsrate (HVPI) kletterte von 2,1% auf 2,4%, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Das ist der höchste Wert seit November 2018. Noch stärker fiel der Anstieg in nationaler Rechnung (VPI) aus – von 2,0% auf 2,5%. Das bedeutet sogar das stärkste Plus seit September 2011, also seit knapp zehn Jahren. Volkswirte hatten bei beiden Raten einen Anstieg auf 2,3% prognostiziert.

Zusammen mit ebenfalls am Montag veröffentlichten Preisdaten aus Italien, wo die Inflation von 1,0% auf 1,3% zulegte (Konsensschätzung: 1,4%), und aus Spanien, wo es einen Sprung von 2,0% auf 2,4% gab (Konsens: 2,4%), untermauerten die deutschen Preisdaten die Erwartung, dass die Teuerung auch im Euroraum insgesamt im Mai erneut kräftig zugelegt hat. Eine erste Schätzung veröffentlicht Eurostat am heutigen Dienstag. Volkswirte gehen im Konsens von 1,9% aus, nach 1,6% im April. Aber auch eine 2 vor dem Komma scheint möglich. Die EZB strebt aktuell eine Inflationsrate von mittelfristig „unter, aber nahe 2%“ an.

Damit dürfte die Debatte über ein unerwartet starkes Comeback der Inflation auch im Euroraum weiter an Fahrt aufnehmen – ähnlich wie in den USA. Seit Jahresbeginn hat die Teuerung deutlich angezogen. Im Dezember hatte die Inflationsrate sogar noch unter null gelegen, bei –0,7%. Für den Anstieg sind jetzt zwar vor allem Basis- und Sondereffekte verantwortlich. Die EZB betrachtet den Anstieg denn auch als temporär und will nichts wissen etwa von einer Reduzierung ihrer beispiellosen Anleihekäufe. Inzwischen nehmen aber die Zweifel an dieser Sichtweise und Einschätzung zu. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo die Bundesbank im Jahresverlauf sogar 4% Inflation für möglich hält.

Nicht zuletzt deshalb wird die nächste EZB-Sitzung am 10. Juni mit besonderer Spannung erwartet. Die Euro-Hüter müssen entscheiden, wie es mit dem Kauftempo beim Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP weitergeht. Der EZB-Rat hatte im März eine Erhöhung des Tempos im zweiten Quartal beschlossen und damit auf steigende Anleiherenditen reagiert. Einige Hardliner („Falken“) im Rat hatten zwischenzeitlich mit einer Rückkehr zum Tempo vom Jahresbeginn geliebäugelt. Zuletzt hatten sich aber eher die „Tauben“ zu Wort gemeldet, während die „Falken“ ruhig blieben. Das wird verbreitet als Signal gewertet, dass es vorerst beim erhöhten Kauftempo bleibt.

Am Montag reihte sich auch Italiens Notenbankchef Ignazio Visco in den „Tauben“-Chor ein. Die EZB werde sich einem ungerechtfertigten kräftigen Hochschnellen der Marktzinsen entgegenstemmen, sagte er bei der Jahrestagung der Banca d’Italia. „Große und anhaltende Anstiege der Zinsen sind durch die gegenwärtigen wirtschaftlichen Aussichten nicht gerechtfertigt und werden gekontert“, sagte das EZB-Ratsmitglied. Die EZB sei bereit, ihr Anleihenkaufprogramm in vollem Ausmaß zu nutzen, so der Italiener.

Die neuen Inflationsdaten dürften aber zumindest zu intensiven Diskussionen der Notenbanker bei der Juni-Sitzung führen – zumal es nun zum wiederholen Male einen Anstieg gab, der stärker ausfiel als erwartet. „Die Inflationsdynamik wird derzeit unterschätzt“, sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank am Montag. „Die deutsche Teuerung zündet jetzt den Turbo“, fügte er hinzu.

Tatsächlich gilt in den nächsten Monaten ein weiterer Anstieg der deutschen Teuerungsrate in Richtung 3% bis 4% als sicher. Der größte Treiber sind aktuell die Energiepreise, die wegen Basiseffekten stark anziehen. Vor einem Jahr, in der ersten Coronawelle, hatte sich Öl ex­trem verbilligt. Ab dem Sommer dürften sich zudem stark die jetzt wieder ursprünglichen Mehrwertsteuersätze in der Statistik niederschlagen – nach der temporären Absenkung in der Coronakrise. Beides sind aber vorübergehende Faktoren.

Die große Frage ist nun aber, inwieweit sich etwa auch die aktuelle Knappheit bei vielen Vorleistungsgütern und Rohstoffen sowie die aufgestaute Konsumnachfrage nach der Pandemie in weiteren Preiserhöhungen niederschlagen und die Inflation stärker und dauerhafter nach oben treiben als gedacht. Als wesentliches Argument gegen eine nachhaltig stark steigende Inflation gilt das geringe Lohnwachstum und mithin eine fehlende Lohn-Preis-Spirale.