Deutscher Auftragseingang im Minus
Die deutsche Industrie hat im Juni ein überraschend dickes Minus bei den Aufträgen verbucht. Viele Volkswirte bleiben aber noch gelassen. Das gilt auch für die Ökonomen der Allianz. Sie sehen den Datensatz psychologisch vom schwelenden Handelsstreit belastet – und weniger als Ende des Aufschwungs. arp/jw Frankfurt – Der deutschen Industrie sind im Juni die Aufträge so stark weggebrochen wie seit knapp anderthalb Jahren nicht mehr. Das Neugeschäft schrumpfte im Vergleich zum Vormonat um 4 %, wie das Statistische Bundesamt gestern mitteilte. Ökonomen hatten zwar mit einen Rückgang gerechnet, diesen aber bei lediglich bei 0,5 % erwartet. Im Mai hatte es noch ein Wachstum von 2,6 % gegeben – das war indes seit Jahresbeginn das einzige Plus. Schwaches Jahr bislangÖkonomen rechnen den unerwartet starken Rückgang eindeutig den Folgen des schwelenden Handelsstreits zwischen den USA auf der einen und China und der EU auf der jeweils anderen Seite an. Gleichwohl waren auch in den ersten vier Monaten des Jahres die Auftragseingänge schwach ausgefallen. Auch im Jahresvergleich wurde im Juni das erste Mal seit Juli 2016 wieder ein Rückgang vermeldet, und zwar von -0,8 %. Der Rückgang war über alle Produktgruppen ähnlich ausgeprägt. Am stärksten fiel die Bestelltätigkeit bei Investitions- und Konsumgütern (-4,7 % und -4,5 %). Für Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz, ist der deutliche Rückgang ganz klar eine Folge des schwelenden Handelskonflikts, der psychologisch auf die Zahlen einwirke. Eine Meinung, mit der er unter Volkswirten nach den Daten zum Auftragseingang nicht allein steht. Die Einigung zwischen US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Ende vergangenen Monats sei in diesen Daten noch nicht enthalten, so Heise – so wie der Deal noch in keinem Datensatz enthalten sei. Der Allianz-Chefvolkswirt gibt sich generell optimistisch. “Ich sehe, dass Trump diesen Deal als Erfolg verkauft. Insoweit glaube ich nicht, dass es zu einer Kehrtwende kommt.” Heises Kollege bei der Allianz, Gregor Eder, weist zudem darauf hin, dass zahlreiche Wirtschaftslobbyisten in den USA ihre Stimme erheben und bei einflussreichen Politikern von Trumps republikanischer Partei Gehör finden würden. Überhaupt findet sich die Allianz, was den Handelskonflikt angeht, auf der vorsichtig optimistischen Seite. In ihren Prognosen für das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland gehen Heise und Eder unverändert von einem Zuwachs von 2,1 % in diesem und 1,9 % im nächsten Jahr aus. Vor einigen Wochen “glaubten wir noch, von unseren Prognosen abrücken zu müssen”, sagte Heise gestern in Frankfurt. Nicht zuletzt die Einigung zwischen Trump und Juncker habe die Volkswirte des Versicherungskonzerns jedoch bewogen, an den Prognosen festzuhalten. Dass die Einigung zwischen den USA und der EU aber etwas ganz Großes hervorbringen wird, daran mag selbst der Allianz-Chefvolkswirt nicht so recht glauben: “Es wird eher etwas Kleines sein”, sagte Heise. Immerhin ist die Hoffnung aber groß genug, um der Allianz den Optimismus nicht zu verderben. Das dominante Szenario ist für Heise und seine Kollegen ein Handelsspiel, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit sie mit 55 % angeben. Trotz aller Drohungen – am Ende werde es in diesem Szenario zu einem Deal kommen. Die Folgen wären dann zu vernachlässigen. Das Risiko, dass es zu einer Handelsfehde kommt, in dem dann doch Zölle dauerhaft greifen, wird von der Allianz mit 40 % beziffert. Dann erwarten die Volkswirte des Versicherers einen um 2 Prozentpunkte geringeren globalen Warenhandel sowie ein in Europa um 0,6, in den USA um 0,5 und in China um 0,3 Punkte geringeres Wachstum. Das Risiko eines breit angelegten Handelskrieges sehen die Allianz-Ökonomen bei lediglich 5 %.Mit Blick auf die deutschen Auftragseingänge im Juni gibt sich auch die BayernLB gelassen. “Die tatsächliche Entwicklung ist weniger schlimm, als es die Juni-Zahl andeutet”, so BayernLB-Volkswirt Stefan Kipar. Betrachte man die Entwicklung über einen etwas längeren Zeitraum, sei ein moderater Abwärtstrend der Neuaufträge zu diagnostizieren. “Damit sind die konjunkturellen Vorgaben für die zweite Jahreshälfte zwar nicht gerade stark. Allerdings sind die Auftragsbestände und die Auslastung der Betriebe weiterhin recht hoch”, so Kipar. Auch Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank Group sieht bislang keine Indizien für “einen spürbaren konjunkturellen Abschwung”, und sieht ebenfalls die “Furcht vor einem Handelskrieg” als Grund “für eine “gewisse Zurückhaltung bei den Neubestellungen”. Gitzel glaubt aber auch nicht, dass die deutsche Industrie “auf die Drehzahlen des Vorjahres kommen wird” – und geht für dieses Jahr von einem geringeren Gesamtwachstum aus. —– Wertberichtigt Seite 6