„Deutschland hat ein fundamentales Standort-Problem“
„Ein fundamentales Standort-Problem“
BDI fordert neue industriepolitische Agenda – IW/BCG-Studie: Mehrinvestitionen von 1,4 Bill. Euro bis 2030 nötig
ahe Berlin
Der BDI fordert eine Neuausrichtung der Industriepolitik und Milliardeninvestitionen, um den Standort Deutschland wieder zukunftsfest zu machen. Aktuell seien rund 20% der industriellen Wertschöpfung bedroht. Einer Studie von IW und BCG zufolge sind bis 2030 sogar 1,4 Bill. Euro an Mehrausgaben nötig.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und der Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) sind aktuell rund 20% der industriellen Wertschöpfung in Deutschland bedroht. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wiederherzustellen, neues Wachstum zu beschleunigen und die grüne Transformation zu realisieren, sind bis 2030 der Untersuchung zufolge 1,43 Bill. Euro an zusätzlichen Investitionen notwendig. „Deutschland hat ein fundamentales Standort-Problem“, betonte Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der die Studie in Auftrag gegeben hatte.
Russwurm sprach am Dienstag in Berlin von einem „erschütternden Lagebild“ und eine Neuausrichtung der Industriepolitik. Das Risiko einer Deindustrialisierung durch stille Abwanderung und Aufgabe gerade vieler Mittelständler nehme kontinuierlich zu und sei teils schon eingetreten, betonte er. Es sei höchste Zeit, dass die Politik die Notlage endlich anerkenne und handele. Die zusätzlichen Investitionen, die zu zwei Dritteln aus privater Hand kommen müssten, seien zwar „irre viel Geld“. Ein Scheitern der Transformation wäre aber noch teurer.
Die Studie identifiziert insgesamt 15 Handlungsfelder, wobei das mit Abstand meiste Geld mit über 400 Mrd. Euro in die Transformation des Energiesystems fließen sollte. BCG-Zentraleuropachef Michael Brigl und IW-Direktor Michael Hüther plädierten dafür, im Zuge der Sicherung der industriellen Basis auch die energieintensive Grundstoffindustrie im Land zu halten, und verwiesen auf die integrierten Wertschöpfungsketten. Allein die Grundstoffindustrien lösten in Deutschland indirekt rund 84 Mrd. Euro an zusätzlicher Wertschöpfung in anderen Branchen aus, erläuterte Hüther.
Langes Fahren auf Verschleiß
Der IW-Chef forderte, für die zusätzlichen Investitionen alle Möglichkeiten zu nutzen, die die Schuldenbremse biete. Der Qualitätsverfall in der Infrastruktur sei noch immer nicht gestoppt, kritisierte er. Russwurm betonte: „Das jahrelange Fahren auf Verschleiß rächt sich jetzt.“
Um neues Wachstum in Deutschland zu beschleunigen, wird in der Studie insbesondere vorgeschlagen, die Nachfrage nach grünen Technologien zu stärken und Innovationen in Zukunftstechnologien zu fördern. Laut Russwurm investieren aktuell auch viele Unternehmen nicht, weil ihnen eine langfristige und verlässliche Planungsgrundlage fehle. Die aktuelle Politik der Bundesregierung biete kein konsistentes Bild und sorge so für massive Verunsicherung, monierte der BDI-Präsident. Keinen Widerspruch sieht er zwischen seinen Forderungen und Mario Draghis Vorschlägen, die EU-Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Diese Vorschläge seien „die europäische Version unserer Studienergebnisse“.
Laut BDI ist eine Transformation zur Klimaneutralität in Deutschland im Jahr 2045 weiterhin möglich und machbar. Die Umsetzung des von der Politik angepeilten Zeitplans werde aber von Tag zu Tag unrealistischer, warnte Russwurm in Berlin.